Dystopien mit Hoffnung

Eine Auswahl der Schriften von Mark Fisher.
Erschienen bei: Neues Deutschland vom 10.03.2020

Die Edition Tiamat hat das Internet ausgedruckt. Zumindest 600 Seiten davon. Aber es sind 600 der besten Seiten, die das Internet zu bieten hat. Es handelt sich um die (ins Deutsche übersetzten) ausgewählten Schriften des Kulturtheoretikers Mark Fisher, die dieser 2004 bis 2016 auf seinem Blog »k-punk« veröffentlicht hatte.

Er hatte ihn Anfang der nuller Jahre begonnen. Grund dafür war seine Kritik am akademischen Betrieb und sein Frust über dessen Formalismus und Langeweile. Blogs boten – als das Freiheitsversprechen des Internets noch etwas galt und nicht als rechter Jagdaufruf gegen alles Linke verstanden wurde – die Möglichkeit, offen und neuartig zu schreiben. Fern von wissenschaftlichen Vorgaben konnten Themen kollektiv bearbeitet werden, Form und Inhalt waren nicht begrenzt, die digitale Zukunft schien noch offenzustehen. In diesem Geist wurde Fishers »k-punk« schnell zu einer zentralen Adresse für die britische Kunst- und Kulturblogsphäre.

Technik, Zukunft und das Unangepasste waren stets Fishers Anliegen. Das »k« in k-punk steht für »Cyber« – es verweist auf das griechische Wort »kuber«. Somit ist k-punk also Cyberpunk. Unter diesen Begriff fallen auch Filme wie »The Matrix« oder »Blade Runner«, düstere Dystopien, mit denen sich Fisher immer wieder beschäftigt hat.

Die große Traurigkeit seiner Generation, die aus solchen Filmen spricht, sowie die Melancholie, die Fisher in Literatur und Musik fand, betrachtete er jedoch nicht nur als Kunstkritiker, sondern untersuchte sie auch als Ausdruck der aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse. Charakteristisch für Fisher war, dass er Popkultur immer in Beziehung zum Kapitalismus setzte. Pop war immer weniger ein Zukunftsversprechen und diente verstärkt der Legitimierung der bestehenden Verhältnisse.

Für Fisher war Pop Teil des »kapitalistischen Realismus« geworden. Dieser Zentralbegriff in seinen Schriften meint »das weit verbreitete Gefühl, dass der Kapitalismus nicht nur das einzig gültige politische und ökonomische System darstellt, sondern dass es mittlerweile fast unmöglich geworden ist, sich eine kohärente Alternative dazu überhaupt vorzustellen«.

Für Fisher selbst schien dies unerträglich geworden zu sein. 2017 nahm er sich das Leben, und so ist es fast unmöglich, seine Texte nicht vor dem Hintergrund der eigenen existenziellen Bedrohung zu lesen. Sie mäandern zwischen Fetzen, langen Auslassungen, Theorie und Gedankensplittern. Ebenso vielseitig sind die Themen: Kunst, Kino, Literatur, Fotografie. Fisher hatte in all diesen Bereichen fundiert etwas zu erzählen. So analysiert er Songs der Band Joy Divison psychoanalytisch, deutet ein Burial-Album politisch oder stellt das Wesen des Nationalsozialismus am Beispiel des Kinofilms »Der Untergang« dar.

Fishers Kritik am US-amerikanischen Gesundheitswesen in einem Text über die Serie »Breaking Bad« verstehen auch alle, die die Serie selbst nicht gesehen haben; den Verlust der Einheit von »Mode, visueller Kunst und experimenteller Kultur« im Pop können auch jene nachvollziehen, die das Album »The Next Day« von David Bowie nicht kennen. Fishers Arbeiten sind belesen, ohne akademisch zu sein. Ohne jede Form der Distinktion ziehen sie die Leser*innen in den Bann.

Trotz der von ihm konstatierten allumfassenden Schlechtigkeit sind Fishers Texte von einer messianischen Suche bestimmt. In seinen Artikeln, in diesem Buch schön nach Sparten (wie Musik, Literatur, Kino, Politik, philosophische Reflexionen) sortiert, schreibt er, dass gegen die »boring Dystopia« der Gegenwart nur noch Notwehr helfe. Diese finde man in der neuesten, der avancierten Kunst, die es zu fördern, verteidigen und verbreiten gelte.

Fisher war immer auf der Suche nach den letzten Schlupfwinkeln, in denen sich das Neue und das Emanzipatorische noch einnisten kann. Somit war er trotz aller Negativität bis zu seinem Tod ein Zukunftsgläubiger, stets angetan, ja berauscht von neuer Rave-Kultur. Fisher hegte keine nostalgischen Gefühle. »Sicher ist, dass die alte Welt zerfällt, und bald wird es unmöglich sein, so zu tun, als könnten wir zu ihr zurückkehren.« Der Glaube an die Zukunft unterscheide die Linke von der Rechten, und so bleibt das radikal Neueste und Vorwärtstreibende am Ende immer Mark Fishers Thema.

Er war Philosoph und Kulturwissenschaftler, Musikjournalist und Blogger, linksradikaler Aktivist und Verlagsgründer. Sein Freund und Kollege, der Kulturjournalist und Autor Simon Reynolds bringt es in seinem Vorwort zum Buch auf den Punkt: »Fisher wurde der beste Musikautor seiner Generation.«