Auf der diesjährigen Tagung der Peter-Hacks-Gesellschaft wurde über den Marxismus bei Hacks gesprochen. Erschienen in: neues deutschland vom 02.11.2020
Eine Tagung der Peter-Hacks-Gesellschaft in Berlin-Mitte beschäftigte sich 30 Jahre nach dem Untergang der DDR mit dem Verhältnis des Dichters Hacks zum Marxismus. Was auf den ersten Blick veraltet erscheinen mag, bleibt jedoch hochaktuell.
Peter Hacks war 1955 mit Lust und Überzeugung von München nach Ost-Berlin in die DDR migriert – im guten Glauben, dass dort der Sozialismus aufgebaut würde. Dort angekommen, arbeitete er mit und lernte von Bertolt Brecht und schrieb rund 40 Stücke, zahllose Lieder, Gedichte, Essays und auch Kinderstücke. Mit seinem Welterfolg, dem Theaterstück »Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe« wurde Hacks in den frühen 1970ern zu einem der meistgespielten deutschen Dramatiker: in Ost wie in West.
Hacks war und blieb dabei stets Kommunist. Ähnlich wie sein Lehrer Brecht musste er allerdings nicht SED-Mitglied werden, um seine Solidarität mit der DDR auszudrücken. Ein Leben jenseits des sozialistischen Staates? »Da fällt mir keine Alternative ein als tot sein«, so Hacks selbst. 1976 begrüßte er die Ausbürgerung des »überschätzten Kleinkünstlers« Wolf Biermann aus der DDR, was zur Absetzung seiner Stücke in Westdeutschland führte.
Nach 1989/90 geriet er leider zunehmend und völlig zu Unrecht in Vergessenheit. Die jährlichen thematischen Tagungen der Peter-Hacks-Gesellschaft unternehmen seit über einem Jahrzehnt den Versuch, Hacks diesem Vergessen zu entreißen. Auf der diesjährigen, pandemiebedingt deutlich verkleinerten Tagung sprachen die Referent*innen also über den Marxismus bei Hacks. Auch wenn dieser »hauptberuflich nicht marxistischer Theoretiker, sondern Künstler war«, wie es die aus Neu-Delhi zugeschaltete Literaturwissenschaftlerin Shaswati Mazumdar formulierte, durchziehen sein gesamtes Werk Aussagen zu marxistischer Theorie.
Bereits 2018 erschien im Eulenspiegel-Verlag eine Sammlung von Hacks’ politischen Schriften unter dem Titel »Marxistische Hinsichten«, die Hacks’ politisches Denken bis zu seinem Tod 2003 dokumentieren. Die Vorträge der Tagung gingen darüber hinaus und suchten in den Werken des Dichters nach marxistischen Ansätzen. So befragte etwa Mazumdar das Werk von Hacks auf Fragen des Kolonialismus und Imperialismus und Daria Šemberová spürte in der Hacks’schen Komödie »Der Frieden« theoretische Ansätze von Rosa Luxemburg auf.
Neben solchen werkimmanenten Diskussionen wurde vor allem auch Hacks’ Verhältnis zur DDR diskutiert. Insbesondere hier zeigt sich die Aktualität des marxistischen Denkers Hacks. Für ihn war es stets entscheidend, sich mit den konkreten gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen der DDR zu beschäftigen. Leere Begriffe interessierten ihn wenig, im Gegenteil: Der »unreine Sozialismus ist der einzig funktionsfähige«, so Hacks. Dabei hielt er es, so der Germanist Heinz Hamm in seinem verlesenen Vortrag, für notwendig, sich auch von marxistischen Grundannahmen zu verabschieden. So übte Hacks etwa in seinen »ästhetisch-ökonomischen Fragmenten« von 1988 scharfe Kritik am berühmten Marx’schen Gedanken des Verschwindens der Arbeitsteilung im Kommunismus. Hacks war damit einer der ersten Marxisten, der in der DDR einen zentralen Lehrsatz des Marxismus in Frage stellte.
In Walter Ulbricht fand Hacks dabei früh einen theoretischen Verbündeten. Ulbricht konzentrierte sich auf den konkreten und machbaren Sozialismus, den er nicht als kurze Übergangsphase in den Kommunismus begriff, sondern als eigenständige und langfristige Gesellschaftsformation. Auch für Hacks war der Kommunismus ein weit entferntes Ideal, das nie vollständig verwirklicht werden könne. »Für den Kommunismus interessiere ich mich nicht«, fasste es der Kommunist Hacks zusammen. Doch blieb Hacks dabei nicht stehen. Nur weil er nicht erreichbar sei, würde dies nicht bedeuten, ihn nicht trotzdem zu versuchen.
Der Filmhistoriker Detlef Kannapin machte in seinem Vortrag auf das Fehlen solcher kommunistischer Überzeugungen aufmerksam. Mit Hacks begann für Kannapin mit dem Sturz Ulbrichts der Niedergang der DDR. Honecker war für Hacks gar der erste Ausdruck der Konterrevolution, die sich in der sogenannten Wende von 1989/90 zeigte. Diese war für Hacks »Selbstabschaffung« des Sozialismus, da dieser an sich selbst gescheitert sei, die Parteiführungen unter Honecker oder Gorbatschow hätten sich ohne Not oder äußeren Druck dem Westen zugewandt und sozialistische Prinzipien aufgegeben. »Es muss ein höheres Wesen geben, das ihnen allen in die Hirne geschissen hat«, so Hacks.
Das Wissen um die Selbstabschaffung des Sozialismus auf der einen Seite und über dessen konkreten Widersprüche auf der anderen macht Hacks zu einem marxistischen Theoretiker eigener Güte, der weiterhin aktuell bleibt: Jenseits von illusorischen Idealvorstellungen eines Kommunismus ging es ihm stets um die Verteidigung des Sozialismus – mit all seinen Unzulänglichkeiten und Schwierigkeiten.
Dass Adam und Eva in Hacks’ gleichnamigen Theaterstück das Paradies verlassen müssen, nachdem sie vom Baum der Erkenntnis gegessen haben, ist für Hacks ein Moment der Befreiung. Gleichzeitig ist Adams erster Schritt in die Freiheit ein Stolpern. Das Bild mag auch für den Sozialismus gelten.