Nichts neues unter der Sonne

Besprechung zu:
Krätke, Michael, R
., Kritik der politischen Ökonomie heute. Zeitgenosse Marx. VSA Verlag, Hamburg 2017 (248 S., geb., 19,80 €)
Erschienen in: DAS ARGUMENT 329

Von Lessing gibt es das Bonmot, dass er bei einer Audienz auf die Frage des Braunschweiger Herzogs ‚Was bringt er mir neues?‘ angeblich ‚Kennen Sie denn schon alles alte?‘ geantwortet habe. So verhält es sich auch mit Michel Krätkes aktuellem Buch. Verf., Professor für Politische Ökonomie in Lancaster und Mitherausgeber der sozialdemokratischen Zeitschrift spw schlägt dort keine neue Marx-Lektüre vor, sondern versammelt im Buch Beiträge, die in der vorliegenden oder in gekürzter Form bereitsv eröffentlicht wurden und stellt dabei die Leitfrage, warum Marx‘ Arbeiten nach so langer Zeit immer noch und zunehmend Bezugspunkt von Kapitalismusanaylsen sind.

Insbesondere im ersten Teil (17-56) wird uns Marx als Zeitgenosse präsentiert, indem die aktuellen Finanzkrisen und die Globalisierung mit seinen Analysen in Verbindung gesetzt werden und die Frage gestellt wird, wieso wir Marx heute noch brauchen.

Krätke behandelt Marx nicht als Säulenheiligen, sondern in erster Linie als Sozialwissenschaftler, der seine Zeit genau beobachtet hat. Da „die jetzige Gesellschaft kein fester Kristall“ (MEW 23: 16) ist, hat Marx seine Analysen immer wieder angepasst und verändert. „Vieles ist unfertig geblieben, gerade im Marxschen ‚Kapital‘ (48f.). Hilfreich für diese historische Leseart des Marschen Werkes (vgl. 13) ist Krätke dabei die Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA). Die zweite Abteilung, 2012 abgeschlossen, versammelt das ‚Kapital‘ und alle direkt dazugehörenden Werke und Manuskripte und dient ihm als vielzitierte Quelle. Durch die MEGA ist „heute eine wissenschaftliche Marx-Kritik möglich, und zwar in dem Umfang, in dem sie nötig ist, um die vielen ungelösten Probleme der Marxschen ökonomischen Theorie einer Lösung näherbringen zu können“ (14).

Das Kapital und die Vorarbeiten sind es dann auch, auf die das Buch sich hauptsächlich bezieht. Für Krätke sind es drei Kritiken (35-40), die Marx dort unternimmt: Marx ging es gleichzeitig um eine Kritik der modernen bürgerlichen Gesellschaft, der gängigen ökonomischen Theorien sowie der Kategorien, die auch im Alltagsverstand eine Rolle spielen. In mehreren Anläufen wird vorgeführt, wie Marx Ökonomie- und Ideologiekritik vereint (vgl. 58-63; 106-112). Leider kommt es hierbei zu Wiederholungen, die redaktionell beseitigt werden sollten.

Spannend und gut zu lesen ist das Kapital „Marx als Wirtschaftsjournalist“ (131-210). Hier wird sein Weg als Journalist und Chefredakteur der Rheinischen Zeitung undder Neuen Rheinischen Zeitung sowie das kurze Projekt Politisch-ökonomische Revue dargestellt. Marx wird stets als genauer Kenner der Materie eingeführt und seine journalistischen Arbeit in die gesamtgesellschaftliche Entwicklungen eingebettet. Als Korrespondent der New York Tribune wurde er zu einem der führenden Wissenschaftsjournalisten seiner Zeit“ (153). Krätke kann hier sehr lebensweltlich die Umstände dieser Arbeit darstellen: Marx war unterbezahlt und wurde schlecht behandelt. Häufig wurde er bei Artikeln nicht namentlich genannt oder bekam keine Belegexemplare (vgl. 203). Aber vor allem machte der Journalismus „Marx wenig Freude, er betrachtete sie als Broterwerb, der zulasten seiner eigenen wissenschaftlichen Arbeit ging“ (149).

Im letzten Kapitel „Gibt es ein Marx-Engels-Problem?“ (211-244) weist Verf. die weitverbreitete Behauptung zurück, Engels hätte das Kapital durch seine Änderungen als Herausgeber des zweiten und dritten Bandes nach Marx‘ Tod verfälscht. Engels, „der einzige, dessen Urteil Marx jederzeit annahm, der einzige, den er als kongenialen Kopf akzeptierte“ (213) musste die Manuskripte in Form bringen. Dabei sei seine Arbeitsweise sehr gut dokumentiert, seine Änderungen als solche gekennzeichnet. Krätke kommt zum Schluss, dass die Historisierungen und Aktualisierungen die Engels vorgenommen hat, im Marxschen Geiste seien.

Das Buch liest sich streckenweise wie ein wütender Schrei gegen alles und jeden, die Marx falsch verstehen oder ihn ignorieren würde. Die gesamte VWL, diese „Pseudo-Ökonomie“ (58), die nur aus Neoklassik bestehe, bekommt ebenso ihr Fett weg wie die Internationale Politische Ökonomie oder die marxistische Orthodoxie und alle möglichen neuen Marx-Lektüren von Althusser bis Michael Heinrich, dessen Einführungsbuch als „schlechter Witz“ (78) bezeichnet wird. Die Polemik nimmt dabei zuweilen aber derartig überhand, dass sie der eigenen Argumentation eher schadet als nützt. Es ist gut, dass Verf. Altes neu aufbereitet hat. Es ist gut, dass er direkt bei Marx bleibt. Gelassenheit an der ein oder anderen Stelle hätte aber auch nicht geschadet.