Frigga Haug, die bedeutende Soziologin und Feministin, feiert ihren 80. Geburtstag
Erschienen in Rosa-Luxemburg-Stiftung
Vor zehn Jahren erschien die Verbindung das erste Mal in Form einer Buchpublikation. Die Rede ist von Frigga Haug auf der einen und Rosa Luxemburg auf der anderen Seite. 2007 veröffentlichte die bekannte Soziologin und Feministin Haug ihr Buch Rosa Luxemburg und die Kunst der Politik. Dabei handelt es sich um keine klassische Biographie der Kommunistin Luxemburg, sondern um eine Auseinandersetzung mit ihren Thesen zur politischen Praxis. Die Aussagen Luxemburgs in zahlreichen und verstreuten Reden und Artikeln zu tagespolitischen Themen kommen, so Haug, immer wieder auf einen zentralen Punkt zurück: Menschen sind lernfähig und können sich und andere verändern. Zum einen könne das Selber-Denken durch keine Partei oder Avantgarde ersetzt werden und zum anderen seien auch scheinbar revolutionäre Organisationen nicht progressiv, solange sie sich nicht auf die reflexiven und spontanen Massen stützen und mit ihnen in Dialog treten.
Der Begriff „revolutionäre Realpolitik“ verbindet Luxemburg dabei direkt mit Frigga Haug. Gemeint ist damit die Aufhebung des angeblichen Widerspruchs zwischen Reform und Revolution. Vielmehr müssten beide in ein produktives Spannungsverhältnis treten. Neben die Nahziele reformistischer Tagespolitik trete das Fernziel der sozialistischen Perspektive – sie gibt auch den Rahmen, in dem sich die alltägliche Politik bewegt. Revolutionär bezieht sich dabei mehr auf die transformatorischen Momente von Politik und weniger auf die Revolution als einmaliges Ereignis des Bruchs. Eine Orientierung an revolutionärer Realpolitik ist dahingehend jedoch in gewisser Weise paradox, denn die Kämpfe sorgen für Verbesserungen eines Systems, dass sie eigentlich abschaffen wollen. Diese Dialektik von Nah- und Fernziel formulierte Frigga Haug 2013 so:
„Es geht ihr [Rosa Luxemburg; C.W.] darum, die Spannung zwischen politischer Handlungsfähigkeit und utopisch erscheinenden Zielvorstellungen produktiv zu machen. (…) Luxemburg richtet alle ihre Begriffe und Vorschläge am Ziel der Selbstregierung der Arbeitenden aus: sozialistische Demokratie und ihr Verständnis von Streik, von Revolution. Es geht immer darum, die Unteren zu befähigen, die Gesellschaft zu gestalten. Da braucht es Schulung, Erziehung, Bildung, das auch, aber das Wesentliche: es zu lernen beim Machen.“
Dies sind Gedanken, die sich auch Frigga Haug für ihre eigene wissenschaftliche und politische Arbeit als Leitlinie gewählt hat: Bildung, Lernen, Experimentieren, Verbinden.
Haug, 1937 in Mühlheim an der Ruhr geboren, war bis 2001 Professorin für Soziologie an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik – mit Gastprofessuren in 3 Kontinenten. Darüber hinaus war sie in den 60ern und 70ern in der Antiatombewegung, beim SDS, in der Frauenbewegung sowie der Erwachsenenbildung. Aktuell ist sie als Vorsitzende des Berliner Instituts für kritische Theorie, Mitherausgeberin der Zeitschrift Das Argument oder als Mitglied der Linkspartei sowohl in der wissenschaftlichen Welt als auch als Aktivistin aktiv. Sie verbindet ihre wissenschaftliche Tätigkeit immer mit politischem Engagement. Auf Ihrer Homepage finden sich unter anderem Fotos von einer Lehrerdemonstration in Mexiko 1996, beim European Forum Socialist Feminists in Belgien 1992 oder bei der Konferenz Socialism in the World in Jugoslawien 1985.
In all ihrer Tätigkeit ist die Verknüpfung von Feminismus und Marxismus ihr Hauptanliegen. Sowohl als Aktivistin als auch als Professorin arbeitet sie seit über vierzig Jahren daran, die beiden Theorieschulen miteinander ins Gespräch kommen zu lassen. Kapitalismuskritik und Feminismus können, so Haug, nur zusammen als erfolgreiches Befreiungsprojekt gelingen. Konkret wird diese Verbindung als „revolutionäre Realpolitik“ im Sinne Luxemburgs durch Haugs Konzept der Vier-in-einem-Perspektive. Es geht ihr dabei darum, die vier zentralen gesellschaftlichen Bereiche – Reproduktion, Erwerbsarbeit, Politik und Kultur – zu verknüpfen, um eine gerechte Politik umfassend gestalten zu können. Keiner der vier Bereiche soll übergeordnet sein. Das heißt unter anderem auch, dass es nur eine radikale Erwerbsarbeitszeitverkürzung auf rund 20 Stunden pro Woche ermöglicht, die anderen drei elementaren Bereiche in den Tagesablauf aufzunehmen. Das bedeutet auch, so Haug, dass die Vier-in-einem-Perspektive zugleich eine Perspektive im Sinn eines Ziels ist. Sie setzt mit diesem Vorschlag sowohl auf den Alltag und auf die langfristige Veränderung und verknüpft dabei diese verschiedenen Bereiche.
Da die Zusammenhänge zwischen Haug und Luxemburg so zentral sind, ist es auch nicht verwunderlich, dass Haug der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) auf vielfältige Weise verbunden ist. Neben den oben erwähnten zahlreichen Aktivitäten war sie nicht nur Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Stiftung, Autorin in einer ganzen Reihe von Publikationen der Stiftung und ist auf unzähligen Veranstaltungen der RLS als Rednerin aufgetreten, sondern sie ist der Stiftung auch über zwei zentrale und aktuelle, unabgeschlossene Projekte verbunden:
2015 fand in den Räumen der Stiftung in Berlin der erste Marxismus-Feminismus-Kongress statt, auf dem Aktivist_innen und Theoretiker_innen sämtlicher Altersstufen zusammen über die Verbindungsmöglichkeiten und Stärkungen marxistisch-feministischer Theorie und Praxis diskutierten. 2016 folgte der zweite Kongress in Wien. 2018 wird der dritte Kongress in Lund in Schweden stattfinden – unter maßgeblicher Beteiligung von Frigga Haug. Gemeinsam mit ihrem Mann Wolfgang Fritz Haug und anderen gibt sie das Historisch-kritische Wörterbuch des Marxismus heraus. In mittlerweile acht Bänden ist das Wörterbuch beim Begriff Maschinenstürmer angekommen. Sieben Bände fehlen noch. Beim Wörterbuch handelt es sich um eines der größten Förderprojekte, die von der RLS unterstützt werden.
Zu ihrem 75. Geburtstag veranstaltete die Stiftung ein Geburtstags-Symposium – prominente Sprecher_innen waren unter anderem Michael Brie vom Instituts für Gesellschaftsanalyse der RLS sowie Else Laudan vom Argument-Verlag. Anlässlich des 200. Geburtstages von Karl Marx richtet die Stiftung im Mai 2018 einen internationalen Marx200-Kongress in Berlin aus – am Eröffnungsabend wird auch ein Festakt zu Ehren ihres 80. Geburtstags stattfinden, unter anderem mit einer Laudatio von Katja Kipping.
Viele von Haugs Mitarbeiter_innen und Schüler_innen sind im Umfeld der Stiftung tätig, auch innerhalb der akademischen Welt und der Partei DIE LINKE werden ihre Thesen diskutiert. Darin das Verbindende zu finden, gemeinsam Widerstand zu organisieren und aus den verschiedenen Interessen ein Projekt zu formen, ist weiterhin der Anspruch von Frigga Haug. Gut so.
Frigga Haug wird heute 80 Jahre alt. Herzlichen Glückwunsch und alles erdenklich Gute
(Beitragsfoto: RLS)