Ein Professor hält eine Vorlesung. Studierenden gefällt deren Form und Inhalt nicht. Sie meckern im Internet darüber. So kann man die Debatte um münkler-watch – mal etwas verkürzt ausgedrückt – zusammenfassen.
Erschienen auf Was bildet ihr uns ein
Zwei fiktive Szenarien:
- Montags, 13 Uhr: Eine Gruppe von Schüler_innen unterhält sich nach dem Unterricht über den langweiligen Unterricht der Bio-Lehrerin. Wer braucht schon Fotosynthese?
- Mittwoch, 10 Uhr: Zwei Auszubildende reden in der Pause über ihren Chef, der sie dauernd Überstunden machen lässt und dabei nicht bezahlt.
Situationen, wie sie wohl täglich auftauchen. Alltag. Und niemand würde daran auch nur annähernd etwas auszusetzen haben. Wenn aber eine dieser fiktiven Gruppen nun ihre Kritik aufschreibt und veröffentlicht, sind die öffentlichen Reaktionen sicher. Wie jetzt im Fall münkler-watch. Nicht mehr und nicht weniger ist dort vorgefallen.
Um was geht es eigentlich?
Es wurde ein Blog eingerichtet, auf dem die Einführungsvorlesung „Politische Theorie und Ideengeschichte“ von Herfried Münkler an der HU Berlin nicht nur dokumentiert, sondern auch kritisch kommentiert wird. Die Debatte um den Blog hat die großen Zeitungen der Republik erreicht. Der genaue Verlauf der Debatte kann im Spiegel oder im Tagesspiegel nachgelesen werden. Darum soll es hier nicht gehen. Ebenso wenig um Herfried Münkler und seine Vorlesung oder seine Kritiker_innen des Blogs. Erstere besuche ich nicht, zweitere kenne ich nicht.
Anonymität – (k)ein Problem?
Im Zentrum soll also die Form der Kritik stehen sowie die Reaktionen, die diese auch auf unserem Blog ausgelöst haben. Dort heißt es, die Anonymität der Bloggenden sei ein Problem und schade der Sache. Auf Grund von möglichen Karriereängsten brauche man nicht anonym zu bleiben. Negative Folgen seien nicht real. Rhetorisch wird gefragt, woher diese Ängste kommen würden. Die Antwort auf diese Frage liegt zum Beispiel in Rostock. Dortige Studierende haben das Projekt „Kritische Uni Rostock“ gegründet, dass sich mit der Gruppe in Berlin vergleichen lässt. Die Initiative dort macht mit Flyern und einem Blog auf rechte Tendenzen an der Universität aufmerksam. Den Rostocker Studierenden wurde mit dieser Aktion die zweifelhafte Ehre zuteil, im Verfassungsschutzbericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern erwähnt zu werden – als Linksextremisten. Egal, ob es bei münkler-watch soweit kommen sollte bei solchen Folgen ist Anonymität nun doch durchaus zu verstehen.
Die Form des Kollektivs bietet somit also Schutz vor Repression, hat aber auch noch andere Vorteile. Die Texte spiegeln als Kollektivarbeit die Meinung der Gruppe wieder. Es bedarf also Diskussion und Austausch innerhalb des Kollektivs. Natürlich spielen Identitäten eine Rolle, wie Michael Grothe-Hammer richtig behauptet. Aber warum der narzisstische Glaube an das Individuum? Können nicht auch Autor_innenkollektive eine Möglichkeit sein?
Ungleiche Machtverteilung
Die Frage möchte ich mit „ja“ beantworten. Gerade in einem asymmetrischen Machtfeld wie der Universität ist dies sinnvoll. Nirgends wird dies so deutlich wie in einer Vorlesung. Als Überbleibsel aus dem Mittelalter werden in ihr die Jahrhunderte alten Hierarchien am Leben erhalten: Ein Mensch spricht, mehrere hundert hören zu. Diskussionen sind selten vorgesehen. Und in diesem Dualismus aus Individuum (Professor) und Masse (Studierende) meldet sich nun einmal die Masse selbst zu Wort – und das sogar ohne die Ablauf der Vorlesung zu stören. Es erfordert schon Mut, einen konkreten Akteur, der in einer ganz konkreten Machtbeziehung zu einem steht, zu kritisieren. Zurück zu unseren Beispielen: Die Auszubildenden werden wohl zum Betriebsrat oder zur Gewerkschaft gehen, um sich zu beschweren. Einfach um zu versuchen, negative Folgen so gut es geht zu vermeiden. Wer könnte es ihnen verdenken?
Das professorale Opfer
Also alles doch eigentlich gar nicht so schlimm. Die Reaktion Münklers – hier müssen wir nun doch wieder kurz vom Abstrakten zum konkreten Fall – war es hingegen schon. Eigentlich, so denkt man, sollte ein Professor doch froh sein, wenn seine Zuhörer_innen während einer Vorlesung nicht einschlafen, sondern sich mit den Inhalten auseinandersetzen. Nicht so Münkler. Als „erbärmliche Feiglinge“ bezeichnete der Professor die Autor_innen von münkler-watch im Hörsaal. Er spricht von „Denunziationsmethoden, gegen die man gar nicht ankommen kann“. Wenn gutbezahlte, renommierte und wissenschaftlich anerkannte Professoren glauben, so mit Kritik umgehen zu müssen und Studierende zu beschimpfen, kann die Kritik so falsch nicht sein: Getroffene Hunde bellen, Herr Professor. Münkler stellt sich hier ganz bewusst in eine Opferrolle die er nicht nötig hat, aber als Strategie für sich nutzt.
Es geht ums Ganze…
Michael Grothe-Hammer meint in seinem Beitrag, es gehe den Studierenden von münkler-watch, wie Was bildet ihr uns ein? um Verbesserung des Bildungssystems. Bestimmt. Aber vielleicht geht es ihnen auch um mehr. Darum, das Ganze zu hinterfragen. Darum, ein komplett anderes System zu wollen – dazu passt auch die Methode. Hier wird eine Bittsteller-Haltung vermieden, in der Person A Professor B bittet, dies und jenes anders zu machen.
Wissenschaft lebt von der Kritik. Auch von der Kritik auf Augenhöhe, aber wenn ein System diese Augenhöhe nicht ermöglicht, gehört es aufs schärfste kritisiert und verändert. Selbst wenn es bei Einführungen in erster Linie um Wissensweitergabe geht, muss Kritik möglich sein. Es gibt hierbei verschiedene Wege, das Bildungssystem und die Gesellschaft zu ändern. Was bildet ihr uns ein? und münkler-watch sind dabei zwei mögliche Formen – in jeweils unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten. Für beide kann es aber nicht schaden, mal beim alten Marx nachzulesen. Denn mit ihm ist spätestens seit 1845 klar, „daß die Umstände von den Menschen verändert [werden können] und der Erzieher selbst erzogen werden muß“. Der Satz wäre ja sicher auch was für die Münkler´sche Politikvorlesung.