Seit mehreren Wochen demonstrieren in Dresden die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEGIDA). Tausende Menschen gehen Montag für Montag auf die Straße. Ihre Motivation hängt nicht mit ihrem Bildungshintergrund zusammen. Vielmehr hat unsere Gesellschaft ein Rassismusproblem, gegen das es sich zu organisieren gilt, meint unser Autor Christopher Wimmer und widerspricht damit Tabea Schroer.
Erschienen auf Was bildet ihr uns ein
etzt sind es schon 17.500! 17.500 Menschen, die dem Aufruf der PEGIDA gefolgt sind, um das ‚Abendland‘ gegen die angebliche Islamisierung zu verteidigen. Seit den Protesten gegen die Hartz-Reformen und gegen den Bahnhof Stuttgart 21 handelt es sich hierbei um die größte Mobilisierung in der jüngeren Geschichte der BRD. Auch wenn bisher auf Dresden beschränkt, gibt es bundesweite Ableger von PEGIDA. Dazu kommen ähnlich geartete Proteste gegen Geflüchtete wie aktuell in Berlin-Marzahn. Die PEGIDA richten sich aber nicht nur gegen die Islamisierung, ebenso wird ein „Umdenken in der Politik“ sowie ein „Aufnahmestopp für Wirtschaftsflüchtlinge“ gefordert. Mit mangelnder Bildung ist das alles allerdings nicht zu erklären.
PEGIDA ist kein Bildungsproblem
Die PEGIDA-Proteste bestimmen die politische und mediale Landschaft der letzten Wochen. Politiker_innen versuchen, dieses Phänomen in ihrer Quantität sowie Argumentation zu verstehen und zu erklären. Alternativ werden die Demonstrierenden als „Schande für Deutschland“ oder als „Nazis in Nadelstreifen“ verteufelt. Beides greift zu kurz und wird der Diffusität dieser Bewegung nicht gerecht, denn so unbestimmt wie die Forderungen sind, so unterschiedlich sind die Menschen auf den Demonstrationen.
Jakob Augstein argumentiert im Spiegel, dass die Angst vor Islamisierung nur ein Deckmantel für tieferliegende soziale Ungleichheiten sei. Diese Kapitalismuskritik ist sicher notwendig, aber nicht ausreichend. Die Demonstrant_innen in Dresden sind nicht die „sozial Abgehängten“, Langzeitarbeitslose oder Randgruppen. Es sind Menschen mitten im Leben – mit Schulausbildung, Familie und Beruf. Organisierte Nazis aus dem Umfeld der NPD und der Autonomen Nationalen finden sich zwar ebenso wie Anhänger_innen der AfD, stellen aber nicht die Mehrheit. Monokausale Lösungsversuche wie mehr Bildung und Abbau sozialer Ungleichheit, wie Augstein sie fordert, greifen zu kurz. Das Entstehen von PEGIDA kann also nicht durch ein verfehltes Bildungssystem erklärt werden: Es demonstrieren nicht die Verlierer_innen des Bildungswesens. Doch was steckt dann hinter PEGIDA?
Die Bewegung hat einen gemeinsamen Nenner: Rassismus
Die Interviews, die der NDR mit Demonstrant_innen führte, machen zwar deutlich, dass die Furcht vor der Islamisierung und vor Geflüchteten Hand in Hand geht mit sozialen Forderungen. Viele sprechen in den Interviews erst von „den Ausländern“, die pöbeln und Bier trinken würden. Im nächsten Satz geht es dann aber um die niedrige Rente, die sie selbst beziehen oder Arbeitslosigkeit unter Akademiker_innen: „Wir haben hier doch genug Probleme, warum holen wir dann noch die Ausländer rein?“ ist eine stets wiederkehrende Frage.
Doch wären durch die Lösung dieser Probleme die Ängste und Forderungen der PEGIDA nicht erfüllt. Trotz der Vagheit und dem Unkonkreten der Bewegung, hat sie doch einen gemeinsamen Nenner: den Rassismus.
Aussagen über „Ausländer“, die „uns“ Krankheiten bringen würden, der angeblichen Überlegenheit Deutschlands und Europas stehen neben Forderungen nach Abschiebung aller ‚kriminellen Ausländer‘. Sie mischen sich mit antisemitischen Obertönen einer angeblichen „Jüdischen Weltverschwörung“, sexistischen Auslassungen gegen Geschlechtergerechtigkeit und gewalttätigen rassistischen Übergriffen.
Dieser Rassismus als Symptom ist da präsent, wo sich so landläufig die ‚gesellschaftliche Mitte‘ findet. Neben Neonazis und Parteien vom ganz rechten Rand stellen Bürger_innen die Mehrheit, die meinen, ihren Rassismus und Hass gegen alles Fremde endlich frei ausleben zu dürfen. Sie machen diese brandgefährliche Meinung salonfähig. Es handelt sich dabei um ganz ’normale Deutsche‘. Und genau darin liegt das Problem. Die irrationalen Abstiegs- und Verlustängste der Demonstrant_innen werden im Rassismus manifest und gründen sich nicht auf einer konkreten sozialen Misslage oder fehlenden Bildungsmöglichkeiten.
Hier gehen keine Menschen auf die Straße, um für bessere Lebensverhältnisse zu kämpfen, sondern um ihre Privilegien gegen ein vermeintliches Außen zu verteidigen. Wie dieses Außen aussieht (ob Islamisierung, Geflüchtete, Gender etc.), spielt nicht die entscheidende Rolle. Wichtig ist das Gefühl der Eigengruppe: „Wir sind das Volk“. Was dessen Werte sind oder was „patriotische Europäer“ oder „das Abendland“ seien, kann zumeist nicht eindeutig von den Demonstrant_innen beantwortet werden. Wichtig ist die Fokussierung nach Innen und die Abgrenzung nach Außen. Wie mit dieser Gruppe aus progressiver Sicht umzugehen ist, gestaltet sich dabei schwierig.
PEGIDA kann nur durch Gegenorganisation begegnet werden
Byung-Chul Han schreibt in der Süddeutschen Zeitung zur Psychologie von PEGIDA: „Sie formulieren keine Ziele, stellen keine konkreten Forderungen auf. Sie weigern sich zu reden. Der Grund ist offenbar: Sie wollen sich nicht aus dem imaginären Raum hinausdrängen lassen.“ Imaginär ist dieser Raum, weil Feindbilder nicht real, sondern konstruiert sind: In Sachsen leben nur etwa 0,2 Prozent Muslime und Muslima. Die Angst vor Islamisierung ist also ebenso berechtigt wie die Angst vor Drachen, Einhörnern und Zombies.
Um dem offenen Rassismus zu begegnen, ist es unumgänglich, diesen imaginierten Raum mit Gegenstrategien aufzulösen. Dialog erscheint keine Möglichkeit, denn Fakten werden übergangen oder ignoriert. Die Interviews zeigen auf, dass niemand, vor allem nicht im Rahmen der Bewegung, von der Menschenfeindlichkeit der Aussagen überzeugt werden kann. Den Demonstrant_innen ist mit rationalen Argumenten nicht zu begegnen, weil sie diesen keinen Glauben schenken. Dieser Irrationalität ist ist mit mehr Bildung somit nicht beizukommen. Der Bildungshintergrund spielt keine Rolle bei PEGIDA, weswegen akut andere Gegenstrategien notwendig sind. Der Rassismus der PEGIDA ist keine berechtige Sorge der Deutschen, sondern eine gefährliche, menschenverachtende Einstellung, gegen die es sich zu organisieren gilt.