Die 68er Auf- und Umbrüche wurde den DDR-Intellektuellen sehr widersprüchlich aufgenommen
Erschienen in Neues Deutschland vom 28.09.2018
Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Das Schlüsseljahr 1968 begann in der DDR schon Anfang der 60er Jahre und war im Dezember 1965 schon fast wieder vorbei. Am 21. September 1963 verabschiedete das SED-Politbüro ein Jugendkommuniqué, das die neue staatliche Jugendpolitik vorstellte. Danach sollte das Verhältnis zur Jugend frei sein von »Gängelei, Zeigefingerheben und Administrieren«. Bislang verpönte »westliche Lebensgewohnheiten« sollten toleriert, jedoch durch politische Schulung flankiert werden. Das Kommuniqué empfahl ausdrücklich die neuesten Werke von DDR-Schriftstellern wie Christa Wolfs »Der geteilte Himmel«. Kritische Dichter wie Wolf Biermann und Heinz Kahlau durften zeitweise auftreten. In Ost-Berlin wurden öffentliche »Diskussions- und Streitgespräche« veranstaltet, in denen sich Hunderte Jugendliche über aktuelle Fragen unterhalten konnten.
Doch bereits Ende 1965 war es damit wieder vorbei. Im Dezember nahm das Zentralkomitee der SED auf dem 11. Plenum die vorsichtigen Ansätze zu einer Liberalisierung der Kultur- und Jugendpolitik, die unter Walter Ulbricht eingeführt worden waren, wieder zurück. Unter Führung des neuen starken Mannes Erich Honecker wurden Beatmusik verboten, Filme und Theaterstücke zensiert.
In diese Situation der gesellschaftlichen Verhärtung im Osten brach das Jahr 1968 mit seinen weltweiten Revolten herein. Die Mauer trennte zwei Welten voneinander, und doch gab es Austausch. So wurden in der DDR neue Lebensmodelle diskutiert und ausprobiert. Eine Kommune 1 gab es auch in Ost-Berlin: Die Wohnung der Bildhauerin Ingeborg Hunzinger war wichtiger Treffpunkt der DDR-Opposition. Hier trafen sich Heiner Müller, Manfred Krug, Wolf Biermann und Robert Havemann genauso wie der Kreis junger Rebellen um Thomas Brasch, Hans Uszkoreit, Florian und Frank Havemann, Rosita Hunzinger und Erika Berthold – zu diskutieren gab es genug im Osten.
Der neue Wind, der in der DDR zaghaft wehte, kam verstärkt aus dem Süden – der Tschechoslowakei. Was in Berlin-West in der Theorie diskutiert, wurde in der CSSR für kurze Zeit versucht – der Gedanke eines »Dritten Wegs« zwischen autoritärem Sozialismus und Kapitalismus. Dies strahlte auf andere Länder aus. Davor fürchtete sich die DDR-Führung. Für Walter Ulbricht waren die Reformbestrebungen in Prag die schleichende Konterrevolution. Folgerichtig unterstützte die SED den militärischen Einmarsch, die NVA blieb jedoch außen vor.
Die antiautoritären Revolten in Prag und Westberlin hatten Folgen in der DDR; eher kultureller und weniger politischer Natur. So wurden die Geschehnisse in der intellektuellen Szene im Osten breit diskutiert. Auf der einen Seiten standen all jene Intellektuellen, die in kritischer Solidarität mit der DDR verbunden waren. Sie hofften auf Veränderungen und eine Öffnung des DDR-Sozialismus – gleichwohl im sozialistischen Rahmen. Vielfältige Aktionen wurden rund um den Prager Fühlung durchgeführt: Der Schriftsteller Franz Fühmann begab sich demonstrativ am Tag des Einmarschs an die Botschaft der CSSR in Berlin, um dort zu protestieren. Toni Krahl, der spätere Sänger der Band City, protestierte schweigend vor der sowjetischen Botschaft. Florian Havemann hängte die tschechoslowakische Fahne aus dem Fenster und schrieb mit seiner Gruppe der jungem Ost-68er Flugblätter. Andere Jugendliche pinselten den Namen Dubčeks an Wände. Die Ideen des Dritten Weges hatten verstärkt unter Studierenden Verbreitung gefunden. In einem Stasi-Bericht über die Berliner Humboldt-Universität wird von »schädlichen Theorien« gesprochen, die sich »teilweise nachteilig auf die Bewusstseinsbildung« auswirken würden.
Auf der anderen Seite stand die DDR-Kulturpolitik, die natürlich jegliche Reform verdammte, aber auch Intellektuelle wie der Dramaturg Peter Hacks. Der Ostberliner, 1955 aus München in die DDR übergesiedelt, hielt wenig von der westdeutschen außerparlamentarischen Opposition und vom Prager Frühling. Zwar begleitete er die Protestbewegung gegen die Notstandsgesetze und den Vietnam-Krieg mit Sympathie, politisch aber erschienen ihm die Studierenden zu unbedarft. »Das ebenso tugendhafte wie dilettantische Treiben unserer westdeutschen Revoluzzerfreunde erfüllt mich mit großer Sorge«, schrieb er an seine Mutter.
Hacks fürchtete sich vor den Ideen Dubčeks und des Dritten Weges. Von Revolutionen innerhalb der sozialistischen Staaten hielt er wenig. Gegenüber Hans Dollinger, dem Herausgeber eines Bandes mit Interviews zur Neuen Linken, äußerte Hacks sich dazu unmissverständlich: »Das ist offensichtlich reaktionär, und wo es nicht reaktionär sein soll, Geblödel. Solange eine Revolution, wie die sozialistische, bei weitem noch nicht alles an den Tag gebracht hat, was an Produktivität in ihr steckt, verwandelt sich jede Revolution gegen diese Revolution in eine Gegenrevolution …«
Hacks’ Kritik am Prager Frühling wurde in der DDR-Öffentlichkeit jedoch nicht publik. Er lehnte seine Unterschrift unter eine Einverständniserklärung für den Einmarsch, die im »Neuen Deutschland« gedruckt wurde, ab. So sehr wollte er sich doch nicht mit der offiziellen Politik der DDR gemein machen.
Die Folgen von 1968 innerhalb der intellektuellen Milieus der DDR waren verheerend. Die DDR-Führung ging selbst mit wohlmeinenden Kritikern hart ins Gericht: Toni Krahl wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, Florian Havemann kam in Untersuchungshaft und floh schließlich in den Westen. Fühmann ging zunehmend auf Abstand zur Politik der DDR und zog sich aus dem Schriftstellerverband zurück, Biermann wurde 1976 ausgebürgert, nach langem Auftrittsverbot. Auch Hacks zog sich – wenngleich aus anderen Motiven – mehr und mehr von der Politik zurück.
Nach 1968 folgte die Restauration innerhalb der DDR. Spätestens seitdem Erich Honecker 1971 an die Spitze der SED getreten war, waren alle Versuche gescheitert, den Sozialismus ernsthaft zu reformieren. Er verschrieb sich der Steigerung des materiellen Lebensniveaus – als späte »Prävention« gegen den Prager Frühling.