Vor den Ostermärschen der Friedensbewegung spitzt sich der Konflikt um Bündnisse zu. Erschienen in: ND.Die Woche vom 08.04.2023
Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. So lässt sich der »Friedensappell« des Autors Reiner Braun und des Historikers Peter Brandt zusammenfassen, den beide letzte Woche veröffentlicht haben. Eine gehörige Portion Nationalstolz schwingt mit, wenn sie behaupten, das Konzept der »Gemeinsamen Sicherheit« der UN wurzle »in der deutschen Friedens- und Entspannungspolitik.« So reich die deutsche Geschichte und Politik an Kriegen ist, soll sie nun Grundlage eines zukünftigen Friedens zwischen Russland und der Ukraine sein. Unterzeichnet hat den Appell die »alte Garde« der Sozialdemokratie, unter ihnen Wolfgang Thierse, Ex-EU-Kommissar Günter Verheugen und mehrere frühere DGB-Vorsitzende. Insgesamt 92 der 250 Namen führen den Zusatz »ehem.« Der Appell hat eine ähnliche Stoßrichtung wie das »Manifest für den Frieden« von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht, die diesen prompt lobte.
Die Lektüre ist aufschlussreich. Zunächst fällt auf, dass dort niemand so wirklich handelt. Die Ukraine wird überhaupt nur ein einziges Mal erwähnt. Stimmen aus dem Land kommen nicht zu Wort. Aber auch Russland taucht als handelndes Subjekt kaum auf. Zwar wird, eher pflichtschuldig, der »russische Angriffskrieg« kritisiert, aber die Kriegsziele Putins werden ebenso verschwiegen wie russische Kriegsverbrechen. Wer all dies nicht sehen will, hat dem Kreml in den letzten Jahren offenbar nicht zugehört. Direkt nach Kriegsbeginn sprach Putin bereits davon, in der Ukraine »russische Erde« sammeln zu wollen.
Der Appell richtet sich an eine abstrakte »Welt«, die den »Frieden braucht.« Es geht den Unterzeichner*innen nicht um konkrete Solidarität mit den vom Krieg betroffenen Menschen in der Ukraine und in Russland. Vielmehr ist die Unsitte, solche Appelle zu unterschreiben, lediglich eine selbstgefällige Form der projektiven Anklage und der Selbstaufwertung. Es geht den Unterzeichnenden lediglich um sich selbst.
Ein Bezugspunkt des Appells richtet sich richtigerweise auf die Schlussakte von Helsinki und die Charta von Paris. Doch vergessen die Verfasser*innen zu erwähnen, dass dort die freie Bündniswahl zugesichert ist, was jeden Einspruch Russlands gegen eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine obsolet machen würde – unabhängig davon, ob es Putin überhaupt darum geht oder wie man zur Nato stehen mag. Insofern ist der Satz »Frieden kann nur auf der Grundlage des Völkerrechts und auch nur mit Russland geschaffen werden« widersprüchlich, da der Kreml das Völkerrecht offensichtlich mit Füßen tritt.
Frieden kann nicht nur die Abwesenheit von Krieg bedeuten, ein Frieden ohne Freiheit und Menschenrechte ist wenig wert. Für die Friedensbewegung heißt dies, sich mit wirklichen Menschen zu solidarisieren und nicht nur ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine zu fordern. Dafür ist es notwendig, sowohl Verbote von kritischen Medien, den Abbau von Arbeiterrechten und die Zwangsrekrutierung der männlichen Bevölkerung in der Ukraine zu kritisieren als auch die russischen Kriegsverbrechen und die fehlende russische Demokratie. Den betroffenen Menschen muss man konkret helfen. Die Ausweitung des Asylrechts, die Aufnahme ukrainischer und russischer Deserteure oder Kriegssaboteure sowie die Unterstützung der ukrainischen und russischen Opposition, die ein Ende des Putin-Regimes fordern, wären Forderungen, die der Friedensbewegung in Deutschland gut zu Gesicht stünden. Das Parteiergreifen für eine der kriegsführenden Seiten hingegen ist ein ebenso fataler Irrweg wie sich auf Scheindebatten einzulassen. Die Gretchenfrage einer antimilitaristischen Bewegung sollte doch lauten, wie man betroffenen Menschen faktisch helfen kann und nicht, wie man es mit Wagenknecht oder Waffenlieferungen hält.
Versuche, sich damit einzubringen, gibt es. »Eine konkrete Möglichkeit bietet sich mit den Ostermärschen Anfang April, an denen wir uns massiv beteiligen sollten«, schreibt etwa die radikallinke »Interventionistische Linke« (IL). Damit hat sie sicherlich recht, doch wird es schwer sein, emanzipatorische Inhalte in die deutsche Friedensbewegung zu tragen, die sich am Vorbild des Friedensappells orientiert und konzequenzlose Forderungen stellt. Dass mittlerweile rechtsoffene Gruppen wie »Die Basis« Teil des Organisationsbündnisses für den diesjährigen Ostermarsch beispielsweise in Berlin sind, hat das Einbringen emanzipatorischer Inhalte und konkreter linker und mit der ukrainischen und russischen Zivilbevölkerung solidarischer Forderungen zusätzlich erschwert. Auch dass Teile der Friedensbewegung eine berechtigte Kritik an rechten und rechtsoffenen Positionen als Stigmatisierung und Diffamierung begreifen, wie die Autor*innen des Thesenpapiers »Warum die Friedensbewegung nicht rechtsoffen ist«, zeugt eher von einer Abwehr und Verhärtung als von Offenheit für linke Vorschläge.