Erschienen in: Tagebuch 7/8
Camillo und Peppone sind die Hauptfiguren einer Reihe legendärer Spielfilme, die zwischen 1952 und 1965 in Italien gedreht wurden. Sie verhandeln das ländliche Leben der Nachkriegszeit im Zwiespalt zwischen tradierten Werten (der katholische Pfarrer Camillo) und gesellschaftlicher Aufbruchsstimmung (der kommunistische Bürgermeister Peppone). Diese streiten sich zwar, jedoch geht es meist lustig zu.
An die Serie fühlt man sich erinnert, wenn man zu Max Bryms Buch Mao in der bayerischen Provinz greift. Seine Geschichte spielt in Südostoberbayern der 1970er Jahre, wo sich in den bäuerlichen und streng katholischen Landkreisen Altötting und Mühldorf im sogenannten Chemiedreieck große Industriebetriebe angesiedelt hatten und daher die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften relativ stark waren. An deren linken Rändern entwickelte sich eine rebellierende Jugend, die sich in K-Gruppen organisierte.
Nostalgisch, wehmütig oder ungläubig steht man vor den Geschichten, die Brym als einer der Protagonisten jener Zeit beschreibt: 1972 kam es in Töging am Inn im Landkreis Altötting durch die damalige Rote Garde zur ersten Hausbesetzung Deutschlands, zur selben Zeit wurde im Wallfahrtsort Altötting um ein autonomes Jugendzentrum gekämpft, es kam zu massiven Bierzelt-Protesten gegen den damaligen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß sowie zu einer großen Solidaritätsdemonstration mit Vietnam mitten durch den »heiligen Ort«.
Brym war mittendrin. Politisch ist seine Vita ein klassisches Beispiel für viele ehemals antiautoritäre Linke nach 1968: Zuerst war er DKP-Mitglied, wurde in der DDR geschult, schwenkte dann zum Maoismus, traf in seiner Zeit beim »Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD« den albanischen Staatschef Enver Hoxha, wurde später Trotzkist. Nun ist er Mitglied der Partei Die Linke.
Während seiner Zeit als Revolutionär in der Provinz brachte er den Roten Landboten heraus, Faksimiles im Anhang dokumentieren dies. Diese Zeitung schaffte es regelmäßig, örtliche Skandale zu thematisieren, provozierte gewaltig. Brym und seine Genossen wurden zu kommunistischen Bürgerschrecken. Dabei erscheint linksradikale Politik in der Provinz oft genug absurd. So erzählt Brym von einer Affäre mit einer hohen CSU-Funktionärin und davon, wie ihm ein anderes CSU-Mitglied regelmäßig Geld gab – als Rückversicherung bei einem potenziellen Einmarsch der Russen. Mit eben diesen CSU-Politikern prügelte er sich um die besten Plakatierplätze in der Stadt, um dann wieder am Stammtisch zusammenzusitzen. Zu lustig, um wahr zu sein? Die Provinz macht es möglich. So gesehen ist das Buch, erschienen im kleinen Südwestbuch Verlag, der sonst mit Thrillern oder Lokalkrimis aufwartet, unbedingt lesenswert. Es zeigt, wie sich die großen geschichtlichen Veränderungen ganz konkret vor Ort abspielen. Dabei schreibt Brym keine reine Lokalgeschichte, sondern auch ein Stück Bewegungsgeschichte. Um das Buch zu lesen, braucht es nicht viel länger, als ein Film mit Camillo und Peppone dauert. Auch wenn man nach Mao in der bayerischen Provinz, wie nach einem der italienischen Filme, etwas belustigt ist, merkt man sich doch, wie Widerspruch, Aufbegehren und Revolte in der tiefsten Provinz möglich sein können.
Max Brym: MAO IN DER BAYERISCHEN PROVINZ
Südwestbuch, 2019, 300 Seiten EUR 15,50 (AT), EUR 15,00 (DE), CHF 21,90 (CH)