Erschienen in: taz.die tageszeitung von 7.3.2020
Wer jetzt ein Buch über Großbritannien liest, erwartet den Brexit als Thema. Greift man nun zu Tuvia Tenenboms „Allein unter Briten“ wird man, zumindest in diesem Bereich, enttäuscht. Tenenbom, israelisch-amerikanischer Dramatiker, Gründer des Jewish Theater of New York und Kolumnist bei der Zeit, hat sich ins Vereinte Königreich aufgemacht, um die Eigenarten der Briten zu ergründen. Nicht zum ersten Mal. Seine Markenzeichen sind kulturelle „Entdeckungsreisen“, auf denen er Menschen trifft und sie zum Sprechen bringt. So verschlug es ihn schon nach Israel, Deutschland oder in die USA. Herausgekommen sind dabei immer fulminante Reisebereiche, gespickt mit zahllosen Begegnungen, Gesprächen, witzigen und seltsamen Situationen. Nun also Großbritannien.
Tenenboms Plan war es, zu verstehen, wie es zum Brexit kam. Doch während er viele Monate durchs Land reist, sich mit Lords unterhält oder philosophische Gespräche an Kneipentresen führt, Geistesgrößen, Geistliche und Gangster trifft, in einem alten Zimmer von Winston Churchill nächtigt oder sich mit Nigel Farage trifft, kommt es ganz anders. Die meisten Inselbewohner wollten nämlich gar nicht über den Brexit sprechen.
Zentral sind es zwei Themen: Armut und Antisemitismus. Die soziale Ungleichheit wird besonders deutlich in London. Dort trifft Tenenbom auf Bankangestellte, die auf engstem Raum mit Obdachlosen zusammenleben. Er unterhält sich mit working poor, also jenen Vollzeitarbeitern, die trotzdem noch aufstocken müssen und auf Kleiderkammern angewiesen sind – während im Hintergrund der Buckingham Palace aufscheint, Wohnort der Queen mit ihrem staatlich alimentierten Pomp.
Interessant, weil unerwartet, auch der starke Antisemitismus, den er im UK trifft. Dieser erscheint allgegenwärtig. Einmal steht ein 14-jähriger Junge neben ihm und macht den Hitlergruß. Der fand das lustig. Zu allen Gelegenheiten wird über das Existenzrecht Israels debattiert – und auch die Antisemiten und Palästina-Romantiker in der Labour-Partei werden thematisiert.
Tenenbom hat ein Händchen hat für alltägliche Komik und skurrile Begebenheiten. Manchmal wird der deutsche Journalist Tobi – als der er sich dauernd ausgibt – jedoch seinen Gesprächspartnern gegenüber bloßstellend und nörgelnd. Damit werden die knapp 500 Seiten manchmal etwas lästig und langweilig – gerade wenn man seine anderen Bücher kennt, die einem ähnlichen Muster folgen. Und doch bietet sein Roadtrip so einiges über Großbritannien an, ganz ohne über den Brexit reden zu müssen.