Seit den 70er Jahren waren Frauen im bewaffneten Kampf aktiv, die explizit als Frauen und Militante auftraten.
Erschienen in: Neues Deutschland vom 07.03.2020
»Banden bilden, sich außerhalb der Gesetze zu bewegen, das scheint bis heute ein männliches Vorrecht zu sein.« So formulierte es 1984 die linksradikale und radikalfeministische Gruppe Rote Zora. Anfang der 70er Jahre noch Teil der Revolutionären Zellen, bildete sie in den 80er Jahren eine autonome Frauengruppe. »Die tausend privaten und politischen Fesseln, mit denen wir als Mädchen und Frauen kaputtgeschnürt werden«, müssten Frauen »massenhaft zu ›Banditinnen‹ für unsere Freiheit, unsere Würde, unser Menschsein machen«.
Dennoch gelten militante Frauen bis heute als Kuriosum. Straßenkampf, Attentate und Aufstand werden selten mit Frauen in Verbindung gebracht, sie sollen nett sein, fürsorglich und schön. Steine werfende Frauen werden zu »Krawallbarbies« oder »Kampflesben« – zumindest in der Springerpresse.
Dabei gab es in der Bundesrepublik eine beeindruckende Fülle militanter Aktionen, mit denen Feministinnen Politik machten. Sie stellten sich mit Besetzungen und Entglasungen gegen das Abtreibungsverbot, führten direkte Aktionen gegen Vergewaltiger und ihre Unterstützer durch und kämpften gegen Sexindustrie und Frauenhandel. Viele Gruppen hatten einen explizit internationalistischen Fokus. Aktionen mit kämpfenden Frauen weltweit waren die Regel, wie etwa die Kampagne der Roten Zora gegen die Adler-Textilkette, die unter skandalösen Bedingungen in Südkorea Kleidung herstellen ließ. Militante Feministinnen kämpften seit jeher gegen Sexismus, Rassismus und Klassenherrschaft in einem – lange bevor der Begriff der Intersektionalität neue Mode an den Universitäten und in linken Zusammenhängen wurde.
Die Medienwissenschaftlerin Katharina Karcher hat in ihrer lesenswerten Gesamtschau »Sisters in Arms« für diese vielfältigen Aktionen den Überbegriff der »feministischen Militanz« geprägt. Sie versteht darunter Ideen und Praktiken, die sexistische Unterdrückung mit einer konfrontativen Grundhaltung zu überwinden suchen. Ihr Buch beschreibt den militanten Feminismus in Westdeutschland seit 1968. Der Tomatenwurf von Sigrid Rüger auf der 23. Konferenz des SDS im September jenes Jahres gilt als Auftakt einer spektakulären Welle von Protestaktionen von Frauen der radikalen Linken in der BRD.
Doch spätestens seit Olympe de Gouges 1791 die »Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin« verfasst hat, ist klar, dass sich weibliche Freiheit nicht von allein einstellt, sondern erkämpft werden muss. Dabei kamen immer verschiedene Aktionsformen zum Einsatz: Im Kampf um das Wahlrecht zerschlugen die Suffragetten Fensterscheiben und bespuckten Polizisten. Als sich Transfrauen und Lesben 1969 gegen die Polizeigewalt im New Yorker Hotel Stonewall Inn wehrten, setzten sie eine offen queere Befreiungsbewegung in Gang. Am 5. März 1975 erfolgte der erste militante Anschlag mit feministischer Begründung in der Bundesrepublik. Eine Bombe explodierte im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Der Anlass: der Kampf der Frauenbewegung gegen den Paragrafen 218a und für das Recht auf sexuelle und körperliche Selbstbestimmung. Verletzt wurde niemand, auch in den folgenden Jahren wurde stets darauf geachtet, Personenschäden weitgehend zu vermeiden.
Der Karlsruher Anschlag ist der Ausgangspunkt für Karchers Studie. Sie bietet die erste umfangreiche Untersuchung konfrontativer und militanter Taktiken in den Aktivitäten von Feminist*innen nach dem Zweiten Weltkrieg und fokussiert sich dabei auf drei Themenfelder: den Kampf gegen das Abtreibungsverbot, Gewalt gegen Frauen und sexistische Werbung sowie internationale Frauensolidarität. Diese Bereiche waren insbesondere für die Rote Zora von besonderer Bedeutung.
Ihr explizites Auftreten als Frauen und Militante war eine radikale Neuerung. Denn zahlreiche Frauen bewaffneter Gruppen hielten ihr Geschlecht für irrelevant und verstanden sich zuerst als Revolutionärinnen. Auch die RAF verfolgte keinerlei eigenständige feministische Agenda. Trotz alledem stellten Frauen in den bewaffneten Gruppen meist mehr als die Hälfte der Mitglieder. In den Medien und der Gesellschaft wurden sie jedoch nicht politisch kritisiert, sondern als Frauen entwürdigt. Günther Nollau, von 1972 bis 1975 Verfassungsschutzpräsident, meinte gar im bewaffneten Kampf der Frauen einen »Exzess der Befreiung der Frau« zu erkennen.
Solche gesellschaftlichen Verurteilungen und staatlichen Repressionen trafen die Aktivistinnen immer doppelt: als Militante und als Frauen. Davon erzählt sehr persönlich auch Ingrid Strobl in ihrem Buch »Vermessene Zeit«. Im Dezember 1987 wurde die Journalistin und Autorin in ihrer Kölner Wohnung festgenommen und wegen Unterstützung der Revolutionären Zellen zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt. Ihr wurde zur Last gelegt, einen Wecker gekauft zu haben – der als Zeitzünder bei einem Brandanschlag auf ein Lufthansa-Gebäude 1986 sein Ende fand. Strobl schreibt eindrücklich über ihre Haftzeit, über Schmerz, Wut und Unterwerfung, politischen Aktivismus von Frauen und individuelle Verantwortung. Zu keinem Zeitpunkt war ihr vorgeworfen worden, selbst am Attentat beteiligt gewesen zu sein. Lediglich der Wecker diente als Indiz, was zahlreiche Beobachter*innen schockierte und zu Protest- und Solidaritätsaktionen motivierte, an denen sich tausende Menschen beteiligten.
Doch waren die Meinungsverschiedenheiten darüber, welche Taktiken angemessen oder notwendig im feministischen Kampf seien, stets beträchtlich. Militante Ausbrüche würden den langfristigen Erfolg gewaltfreier Proteste gefährden und die feministische Bewegung schwächen, so eine Kritik.
Seit den frühen 90er Jahren scheint militanter Protest mit feministischem Inhalt seltener geworden zu sein. Die letzte Aktion der Roten Zora ereignete sich 1995. Und gegenwärtige feministische Aktionen sind, trotz Aktionen rund um den Frauenstreik, vergleichsweise brav: Demonstrationen, symbolische Blockaden oder Online-Petitionen.
Allerdings begeben sich Akteur*innen derzeit verstärkt auf die Suche nach Spuren feministischer Militanz, theoretisch und praktisch. Neben dem Widerstand des feministischen Hausprojekts Liebig34 in Berlin gegen seine Räumung veranstalte Ende Februar die Berliner Gruppe »Theorie. Organisation. Praxis B3rlin« eine Veranstaltung zu Geschichte und Gegenwart feministischer Militanz. Gerahmt von einer Lesung mit Textausschnitten der militanten Frauenbewegung diskutierte die postautonome und kommunistische Gruppe mit ihren Gästen unter dem paradigmatischem Titel »Make feminism a threat« – Feminismus zur Bedrohung machen.
Thema waren alltägliche Formen des Widerstands wie Kampfsporttraining genauso wie die militärische Organisation von Frauen in Kurdistan. Eine Vertreterin der Kampagne »Women defend Rojava« charakterisierte den Befreiungskampf der Frauen in Kurdistan als unbedingten Bestandteil der Revolution in Syrien: »Wir haben die Fraueneinheiten YPJ, weil Frauen ihre eigene Autonomie brauchen, um zu beweisen, dass sie Dinge selbst tun können. Deshalb funktioniert unsere Revolution. Man kann keine wirklichen Veränderungen erreichen, ohne die Frauen in den Mittelpunkt zu stellen.«
Die Aktivistin und Journalistin Jana Klein berichtete, dass auch Männer in Antifakontexten, die ansonsten den radikalen Bruch mit dem System fordern, oft erschreckend weit davon entfernt seien zu begreifen, was antisexistische Praxis bedeutet. Auch das zeigt die anhaltende Notwendigkeit von Frauen, für ihre Freiheit, Würde und ihr Menschsein zu kämpfen. Sieht man sich den zunehmenden Antifeminismus und Rechtsterrorismus an, möchte man hinzufügen: mit allen erforderlichen Mitteln.
Katharina Karcher: Sisters in Arms. Militanter Feminismus in Westdeutschland seit 1968. Assoziation A, 232 S., br., 19,80 €. Ingrid Strobl: Vermessene Zeit. Der Wecker, der Knast und ich. Edition Nautilus, 192 S., br., 18 €.