Von Techno, Chili und Repression: Ein Austausch zwischen zwei alternativen Clubs in Peking und Berlin zeigt, wie Techno widerständige Praxis sein kann.
Erschienen auf Supernova vom 16.09.2019
Fan Popo schnibbelt Chilischoten. Lächelnd erklärt, dass er bereits die chinesische Regierung verklagt habe. Eigentlich ist der 34-jährige Pekinger Filmemacher und LGBTI-Aktivist. Heute steht er im Garten des Techno-Clubs ://about blank in Berlin-Friedrichshain und bereitet Essen vor. Sein Film »Mama Rainbow« über die Mütter homosexueller Kinder wurde von der Zensurbehörde der Regierung auf den Index gesetzt. Dagegen reichte Fan Klage ein – und gewann. Passiert ist seitdem jedoch nichts.
Die Besucher*innen des Clubs erwartet an diesem Abend keine ›normale‹ Techno-Party, sondern Fotos, Filme, chinesisches Essen und Austausch mit spannenden Gästen bei entspannter Ambient-Musik. Das 25-jährige Jubiläum der Städtepartnerschaft zwischen Peking und Berlin nahmen zwei Klubs der Stadt zum Anlass, ein Austauschprojekt in der Clubszene zu starten. Die Macher*innen und Partizipator*innen des Clubs Zhao Dai in Peking und das Kollektiv des ://about blank in Berlin wollen zusammen über die Clubgeschichte in den beiden Städten sprechen. Unter dem Titel »Is it loud enough?! Clubkultur zwischen Berlin und Beijing« soll die Rolle des Clubs als Widerstandspraxis beleuchtet und ergründet werden, wie Clubkultur auch eine Community-Kultur sein kann. Zu diesem Anlass sind fünf Beteiligte des Zhao Dai zu Besuch in Berlin.
Gute Kunst, gutes Essen, guter Sex
Fan kam über seine Filme in Kontakt mit den Macher*innen des Zhao Dai. Während es neben ihm in den Pfannen brutzelt, spricht er weiter lautstark über die Zensur in seinem Land, daher überlegt er nach Berlin zu kommen. »Eine Stadt braucht drei Dinge, damit ich mich wohlfühle«, sagt Fan, »gute Kunst, gutes Essen und guten Sex.« Bei Kunst und Sex sei er von Berlin überzeugt, was das Essen betrifft, noch nicht völlig. »Aber«, so ergänzt er, »es gibt ja Abende wie heute.« Mittlerweile ist das Essen fertig. Fan hat das erste Glas Sekt in der Hand.
Die erste Verbindung zwischen den beiden Clubs stellte Resom her. Sie legt regelmäßig als DJ im ://about blank auf und war oft in asiatischen Ländern auf Tour. Viele Freund*innen hätten vom Zhao Dai geschwärmt, erzählt sie. »Ich hatte auch bereits erste Kontakte mit Leuten vor Ort und als ich dann dort war, haben wir uns auf den ersten Blick super verstanden.« Dabei kam die Idee auf, etwas zusammen zu machen. Gesagt, getan. Im März dieses Jahres besuchten fünf Kollektiv-Mitglieder und zwei DJs des ://about blank Peking und veranstalteten dort eine Fülle von Diskussionen, Workshops und Partys. »Zuerst gab es schon Bedenken wegen der politischen Situation in China«, erklärt Carmen Herold. Sie lebt in Peking und ist eine der Gründer*innen des Zhao Dai. »Wir haben dann aber erklärt, dass so eine Kooperation für viele junge Alternative die einzige Möglichkeit ist, Leute aus der Szene in Berlin kennenzulernen – und dann kam auch die Zusage«.
Mehrere Monate musste der Club schließen – angeblich wegen Brandschutz
Seit über 30 Jahren gibt es eine Techno-Szene in Peking – jedoch viel kleiner und prekärer ist als in Berlin. Gerade mal drei Underground-Clubs gibt es in der chinesischen Hauptstadt. Dies schafft aber auch neue Möglichkeiten: »Die Leute sind nicht so übersättigt wie in Berlin«, erzählt Resom von ihren Erfahrungen. »In Peking gibt es noch so eine Magie, die zur Clubkultur dazugehört. Die Begeisterung schwingt durch den ganzen Raum und kommt dann auch auch bei mir an. Es ist noch viel euphorischer als in Berlin.«
Die Gründer*innen des Zhao Dai sind schon seit Jahren in der Szene aktiv. Der Entschluss, einen eigenen Club aufzumachen, kam vor rund einem Jahr. Mehrere Monate musste der Laden aber wieder schließen, weil es angeblich Probleme mit dem Brandschutz gab. Herold winkt ab. »Einen Club in China zu eröffnen, ist nicht einfach. Leute, die das versuchen, wissen, dass sie vielleicht nach ein, zwar Jahren wieder zumachen müssen.« Doch nicht nur mit staatlicher Repression müssen die Clubbetreiber*innen kämpfen. Die Marktmechanismen greifen auch in der Volksrepublik: »Auch wir haben in den letzten Jahren mit massiven Mieterhöhengen zu kämpfen«, ergänzt Zhi Qi Song, auch er einer der Gründer des Zhao Dai. »Was in Berlin passiert, ist nichts im Vergleich zu Peking.«
Zurück in den Garten des ://about blank. Es ist kurz vor Einlass, das Essen wird vorbereitet, die Technik für den Film aufgebaut und die letzten Details der Begrüßungsreden geklärt. Das ://about blank ist nicht nur ein Techno-Club. Organisiert als Kollektiv hat der Laden einen dezidiert linken Anspruch. Dies zeigt sich nach außen in zahlreichen Soli-Partys für Geflüchteten-Projekte, politische Initiativen oder der Beteiligung an der Initiative »Reclaim Club Culture«, die sich gegen die Kommerzialisierung der Clubkultur einsetzt. Nach Innen zeigt es sich durch den Anspruch, in der von Männern dominierten Clubwelt als feministischer Ort aufzutreten, sowie in dem Versuch, eine solidarische Ökonomie aufzubauen.
Wir haben uns mitten auf dem Dancefloor mit Übersetzungs-Apps unterhalten.
Früher war das ://about blank ein informeller Club. Nun ist der Laden, der sich in einem unscheinbaren Funktionsgebäude auf der eher hässlichen Seite des Berliner Ostkreuz befindet, legal. Die radikale Linke und Techno haben eine lange gemeinsame Geschichte. Sie reicht von Techno-Partys in den besetzten Häusern Anfang der 1990er Jahre über die legendäre Demonstration am 1. Mai 1999 mit einem Live-Auftritt von Atari Tenage Riot, die mit ihrer Mischung aus Techno, Hardcore und Punk die militanten Auseinandersetzungen mit den Cops anheizte zum undogmatischen, hedonistischen Flügel der linksradikalen Szene der Gegenwart, der in Orten wie dem ://about blank oder auch dem Mensch Meier in Prenzlauer Berg seine Orte hat. »Für mich ist der Laden mein zweites Zuhause«, so Eli aus dem Kollektiv. „Gerade die feministische Agenda ist sehr wichtig für mich. Mindestens da hat der Laden auch Maßstäbe in der Berliner Clubszene gesetzt“.
Wo an den Wochenenden die Türschlange beizeiten bis zum rund 200 Meter entfernten Bahnhof Ostkreuz reicht, ist es an diesem Abend ein leichtes, reinzukommen. Die Besucher*innen tröpfeln eher in den Garten des Ladens. Am Ende ist er in dieser lauschigen Spätsommernacht aber doch gut gefüllt. Die Stimmung ist fröhlich, es gibt zahlreiche Umarmungen. Das Stimmengewirr ist eine Mischung aus Englisch, Deutsch und Chinesisch. Am Ende versteht man sich. „In Peking haben wir uns mitten auf dem Dancefloor mit Hilfe von Übersetzungs-Apps unterhalten, das war sehr lustig“, erinnert sich Eli.
Demonstrationen sind in China verboten, also suchen sich die Menschen andere Möglichkeiten.
Doch solche Abende sind bedroht. Nationalistischen und neo-faschistischen Tendenzen in der Gesellschaft ist die Idee einer freien Clubkultur ein Dorn im Auge. Während das Zhao Dai im Kontrollstaat China nur prekär existiert, stand in der Bundesrepublik dieses Jahr unter anderem das Fortbestehen des Fusion Festivals auf dem Spiel – weil die Polizei eine Wache und Streifen auf dem Festivalgelände durchsetzen wollte. Der linke Club Mensch Meier wurde im März Ziel einer brutalen Zollkontrolle. »Hintergrund der Angriffe sind selten die Vorwände, unter denen sie vollzogen werden. Vielmehr sind sie Ausdruck der Abneigung gegenüber einer freiheitsliebenden, hedonistischen und emanzipatorischen Clubkultur. Denn Clubs sind oftmals Orte, an denen Menschen zusammenkommen, die nicht entsprechend der herrschenden Mehrheitsnorm leben wollen oder können«, heißt es in einer Meldung des ://about blank.
Gerade deswegen ist der Austausch so wichtig, sind sich die Eli, Zhi Qi Song und Carmen Herold einig. Clubkultur bietet Raum für Gemeinschaft. „Es ist schon irre, dass es 7000 Kilometer weit entfernt Menschen gibt, die ähnliche Ideen haben wie man selbst und man sich von Anfang an so gut versteht“, schwärmt Eli. Sogar der Geruch in den Clubs sei identisch gewesen.
Dass Clubs auch widerständige Orte sein können, erlebt Resom erlebt als DJ überall: »Beim Clubbing geht es ja auch darum, sich gehen zu lassen und loslassen zu können. Dafür die passenden Orte der Freiheit zu schaffen ist für uns hier häufig normal, aber woanders ist das ein hart erkämpfter und oft auch politischer Freiraum.« Zhi Qi Song nickt: »Demonstrationen sind in China verboten, also suchen sich die Menschen andere Möglichkeiten. Was Menschen anziehen, welche Musik sie hören, welches Bier sie trinken, all dies ist politisch. Es ist eine Art des Widerstands gegen die herrschende Kultur.«
Alle Fotos: Andreas Domma