Eric Fassin warnt vor populistischen Strategien.
Erschienen in: Neues Deutschland vom 01.06.2019
Nach den Niederlagen der Linken bei der EU-Wahl herrscht Ratlosigkeit: Wie mit dem ungebrochenen rechten Boom umgehen? Einen Ausweg will der »Linkspopulismus« bieten, wie ihn die Philosophin Chantal Mouffe dargelegt hat. Sie schlägt vor, pointiert zwischen oben und unten zu polarisieren, zwischen ›Volk‹ und ›Elite‹, womit sie in jüngerer Zeit auf viel Echo stieß. Doch steht hier nicht der Populismus im Zentrum, während ihn der Ausdruck ›links‹ nur ergänzt? Ist das wirklich ein Mittel gegen die Rechte? Das fragt sich der französische Philosoph Eric Fassin, dessen Essay »Revolte oder Ressentiment« nun auf Deutsch vorliegt. Seine Antwort ist klar: Der Populismus beanspruche, so Fassin, im Namen ›des Volkes‹ zu sprechen – und wendet ein, dass es ein Volk an sich nicht gebe. Dieses muss erst (was Mouffe nicht anders sieht) politisch erzeugt werden. Für Fassin schließt die populistische Strategie das ›Volk‹ mit den Unterklassen kurz, um die Opposition von rechts und links, die der Demokratie zugrunde liegt, durch eine soziologische Trennung zwischen ›Elite‹ und ›Leuten‹ zu ersetzen. Dieses Volk wird dann zu einer unbestimmbaren, aber gegebenen Masse, die sich an den Urnen derzeit eher rechts orientiert, aber auch links mobilisierbar sei.
Diesen Kurzschluss, das einfache Volk auf das populistische Votum zu reduzieren, kritisiert Fassin. Der Populismus gehe davon aus, dass die Wähler*innen von Bernie Sanders und Donald Trump, von Jeremy Corbyn und Nigel Farage, von Jean-Luc Mélenchon und Marine Le Pen sich letztlich durch die Ablehnung des Neoliberalismus definierten. »Statt eine Pattsituation zwischen beiden zu sehen, liegt hier die Vorstellung vor, die Stärke der einen wäre zugleich die Schwäche der anderen, der linke Populismus wäre dann das Antidot gegen den rechten Populismus«.
Im Kern geht es Fassin um den Affekt: Der Linkspopulismus täusche sich darin, dass Gefühlsregungen quasi von einem Populismus in den anderen übersetzbar wären – dass Menschen also gleich empfinden, aber zugleich verschieden denken können. Das sei falsch: Die Rechte und Linke teilten nicht dieselben Affekte. »Die Wähler der extremen Rechten sind keine Opfer, deren Leiden man Gehör schenken müsste. Es sind politische Subjekte, die von trübseligen Leidenschaften angetrieben werden und gegen die es mit Unterstützung anderer Subjekte – und anderer Leidenschaften – anzukämpfen gilt.«
Dass sich die extreme Rechte und die radikale Linke auf gegensätzliche Haltungen gründen, ist freilich eine Binsenweisheit: ausschließender Hass versus einschließende Solidarität. Die Frage wäre hier, ob es nicht basale Affekte – etwa ein Gefühl der Nichtbeachtung – gibt, die sich, je nachdem, in welchen Kontexten und Kräftefeldern sie durch was »bearbeitet« werden, in die eine oder eben andere Richtung wenden können. Fassin konzentriert sich jedoch auf bereits (meta-)politisch artikulierte Affekte, die er als
mehr oder minder fix annimmt und quasi in progressiv und regressiv einteilt: Wer etwa Trump gewählt hat, glaubt er, würde nie für Sanders stimmen. Denn »das Ressentiment verkehrt sich nicht in Revolte, wie auch Empörung nicht in Groll umkippt«. So gesehen kann es linke Politik sich nicht zur Hauptaufgabe machen, verlorene Schafe zu retten, die vielleicht Wölfe sind. Sie muss sich darauf konzentrieren, diejenigen zu mobilisieren, die der Rechten noch nicht erlegen sind. Dann ist auch der Populismus keine Waffe gegen den Neoliberalismus, ob nun rechts oder links. Auch werde, meint Fassin, ein Linkspopulismus nicht zu den erhofften Wahlergebnissen führen, selbst wenn man alle Reste des Rechtspopulismus wie Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit abschüttelte. Die Linke riskiere »ihre eigene Auflösung«, sobald sie den Populismus über den Gegensatz zwischen rechts und links stellt.
Ein Projekt eines transformativen Egalitarismus durch Populismus zu ersetzen, heißt für Fassin »faktisch, von einer gehaltvollen Definition der Linken zu einer anderen, indirekten überzugehen; von einer positiven Fassung zu einer anderen, negativen.« Veränderung kann nur geschehen durch linke Gegenmacht von unten, die mit utopischem Überschuss agiert, die versucht, gegebene Kategorien wie Volk, Wahl, aber auch Demokratie durch etwas Besseres zu ersetzen. Die populistische Strategie »ein Volk herzustellen, darf uns von diesem Erfordernis nicht ablenken; es ist höchste Zeit, eine Linke herzustellen«, schreibt Fassin. Zumindest der letzte Halbsatz ist unkontrovers. Und ob Trump-Stimmen von 2016 sich in Sanders-Voten wandeln können, könnte sich bald praktisch zeigen.
Eric Fassin: Revolte oder Ressentiment. Über den Populismus. Aus dem Französischen von Daniel Fastner. August Verlag, 12 Euro.
Chantal Mouffes hier erwähnten Essay »Für einen linken Populismus« (Suhrkamp 2018) besprachen in nd Velten Schäfer positiv (5. 10. 2018) und
Andreas Fisahn kritisch (8. 12. 2018).