Was nur tun am 1. Mai? Sturmmaske bügeln oder Bratwürste im Senf versenken? Es gibt viel an den Ritualen zu kritisieren. Wichtig bleibt dieser Feiertag aber auf jeden Fall!
Erschienen auf Supernova.
Der 1. Mai steh wieder vor der Türe. Während die einen ihre Sturmmaske bügeln, holen die anderen ihre Gewerkschaftsfahnen aus dem Keller und legen schon mal Bratwurst und Senf bereit. Und dann gibt es noch diejenigen, die nach dem Frühstück schon nicht mehr geradeaus schauen können und ihren Bollerwagen schmücken. Was machen nun emanzipatorische Linke mit diesem Feiertag? Sich einem der vielen alljährlichen linken Rituale anschließen. Oder doch einfach volllaufen lassen?
Rituale um den 1. Mai gibt es genügend. Das fängt mit seiner
Geschichte an. Dieser Feiertag der Arbeiter*innenbewegung geht auf eine
Versammlung auf dem Haymarket in Chicago im Jahr 1886 zurück. Es folgte
ein mehrtägiger Streik. Dieser führte zu gewalttätigen
Auseinandersetzungen zwischen Demonstrant*innen und der Polizei, bei
denen mehr als 200 Arbeiter*innen verletzt wurden. Sieben Polizisten
kamen ums Leben – bei den Arbeiter*innen waren es schätzungsweise
dreimal so viel.
Auf dem Gründungskongress der Zweiten Internationale 1889 wurde zum
Gedenken an die Opfer des »Haymarket Riot« der 1.Mai als »Kampftag der
Arbeiterbewegung« ausgerufen. Am 1. Mai 1890 wurde zum ersten Mal dieser
»Protest- und Gedenktag« mit Massenstreiks und -demonstrationen in der
ganzen Welt begangen.
Die SPD als revolutionäre Massenpartei
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts rief die SPD – damals eine revolutionäre Massenpartei – noch zu Streiks und kämpferischen Demonstrationen an diesem Tag auf. Doch das ist lange her. Spätestens nach dem Ersten Weltkrieg wurde die SPD die reformistische Staatspartei, die sie heute noch ist. Sie will von ernsthaften Arbeitskämpfen nichts mehr wissen. Nicht viel besser verhält es sich mit den Gewerkschaften. Dies sieht man jedes Jahr aufs neue bei den Demonstrationen und Kundgebungen, die die DGB-Gewerkschaften landauf und landab am 1. Mai veranstalten. Dort wird man für bessere Löhne sein, höhere Renten fordern, Bier trinken und aus wenigen alten Kehlen wird verzagt proletarisches Liedgut zum Besten gegeben, um daran zu erinnern, dass mal ein Gestern existierte, an dem noch an ein wirklich besseres Morgen geglaubt und dafür gekämpft wurde: »Brüder, zur Sonne, zur Freiheit…«
Auch wenn es seit einigen Jahren auf der großen Demonstration in Berlin einen »klassenkämpferischen Block« gibt, wird man sich von dieser Veranstaltung keine grundlegende Veränderung der Gesellschaft erwarten können. Wer also rote Fahnen schwenken und sicherlich ein paar großartige Schnurrbärte bewundern will, begebe sich auf die örtliche DGB-Veranstaltung. Mit dem Anspruch der großen Transformation knallt es seit den 1980ern regelmäßig in Berlin-Kreuzberg. Straßenschlachten mit der Polizei am Rande der »Revolutionären 1. Mai-Demo« gehören seit jeher dazu – wie die Bratwurst zum DGB. Trotz steigender Teilnehmer*innenzahlen in den vergangenen Jahren war die Demo selten so revolutionär, wie viele sie gerne gehabt hätten. Sie aufzugeben, scheint für die Aktivist*innen jedoch keine Option zu sein. Doch soll die Demonstration dieses Jahr nach Friedrichshain umsiedeln – zum ersten Mal weg aus Kreuzberg, wo die vom Bezirk betriebene Touristifizierung durch das MyFest den Kiez an diesem Tag zu einem unpolitischen Ballermann verwandelt hat. Ein Schlusspunkt gewissermaßen, um einen Neuanfang zu wagen – im neuen Bezirk.
Krawall und Remmidemmi
Dieser Neuanfang zeigt sich in den Aufrufen zur Demonstration. Die Demo solle »vielfältig sein« und »Kämpfe zusammenführen«, heißt es bei der »Mai-Steine-Kampagne«. Von den streikenden Frauen über die protestierenden Mieter*innen bis zu migrantischen Communities, autonomen Freiräumen und wütenden Jugendlichen sollen alle zusammenkommen. Der 1. Mai wäre damit ein »Mosaikstein«, um breite »Gegenmacht von unten« aufzubauen. Dem folgt auch die mitorganisierende Gruppe »Radikale Linke Berlin«. Sie lässt verkünden: »Um die Menschen für revolutionäre Ideen zurückzugewinnen, müssen wir im Arbeits- und Lebensalltag präsent sein. In den Kämpfen im Stadtteil, im Betrieb genauso wie in den Kämpfen gegen Sexismus und Rassismus.«
Trotz dieser (Re-)Politisierung der Demo, die nur zu begrüßen ist, da sie eine Abkehr von der Eventisierung der Gewalt bedeutet, wird es auch dieses Jahr wieder zu Auseinandersetzungen kommen. Hier eine fliegende Flasche und dort eine Festnahme. Hier ein Schlagstock und dort eine brennende Mülltonne, die begierig von Journalist*innen umstellt werden wird, um die »gewalttätigen Ausschreitungen« auf den ersten Seite diverser effekthaschender Zeitungen zu dokumentieren.
Rituale zum 1. Mai
Sicherlich spricht nichts dagegen, wenn sich berechtigte Wut kanalisiert und in Gegenmacht umschlägt. Wenn dabei die Angst die Seite wechselt und (kurzfristige) Erfolge gegen die Staatsmacht errungen werden, kann das befreiende und ermächtigende Momente für die Aktivist*innen bedeuten. Jegliche Form der Distanzierung von Militanz ist so und so unangebracht. Aber man muss sich schon fragen, was das Ritual des 1. Mai soll? Die Fahnen, die Aufrufe, der Black Block, das ewig gleiche Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei, bei dem jeder Schritt und jeder Akt vorgeplant zu sein scheint und man am Ende eh nichts gewinnt?
Also nicht doch lieber aus dem revolutionären Hamsterrad aussteigen und sich im Park betrinken? Das kann man auch jeden anderen Tag. Der 1. Mai hat hingegen eine Geschichte. Er erzählt von Unterdrückung und Ausbeutung, aber auch von Gegenmacht und Solidarität. Aufgeben sollte man diese Geschichte nicht. Sich aber alljährlich am Feuer der brennenden Barrikaden wärmen und in revolutionärem Pathos versinken, bringt gar nichts, wenn eine militante Haltung nicht auch an den 364 weiteren Tagen des Jahres eine Rolle spielt. Der 1. Mai kann ein Kondensationspunkt von Gegenmacht werden, er kann Kämpfe zusammenführen und die eigene Wirkmächtigkeit sichtbar machen. Wenn dieses Bewusstsein aber nicht in alltägliches Handeln umschlägt, bleibt die 1.Mai-Demo (egal wie viel Scheiben dabei zu Bruch gehen) sinnlos. Wäre doch schade drum.