Rheinmetall-Kritiker sollten hohe Geldstrafe zahlen
Erschienen in Neues Deutschland vom 19.03.2019
In der Nacht zum 18. März 1871 versuchten Französische Regierungstruppen, die Pariser Nationalgarde zu entwaffnen. Dies führte zum offenen Aufstand der Pariser Kommune und dem ersten Versuch in der Geschichte der Menschheit, eine sozialistische Gesellschaft zu errichten. Dies wurde blutig niedergeschlagen – zahlreiche Kommunarden wurden hingerichtet. Seit den 1920ern wird der 18. März als ›Tag für die Freiheit der Politischen Gefangenen‹ begangen. Dieser bitteren Ironie wird sich das Amtsgericht Berlin-Tiergarten nicht bewusst gewesen sein, als es den Termin für die Verhandlung gegen zwei Kriegsgegner auf genau diesen Tag gelegt hat.
Die zwei Angeklagten aus Frankfurt am Main sollten zusammen 15.000 Euro zahlen, weil sie während der Jahreshauptversammlung des Rüstungskonzerns Rheinmetall am 8. Mai 2018 im Berliner Maritim-Hotel vor dem Haupteingang ein Transparent mit der Aufschrift »8. Mai 1945 – damals wie heute, war starts here, let´s stop it here« zeigen wollten. Das Banner war in den Farben der kurdischen Befreiungsbewegung gehalten, um gegen den Einsatz von Leopardpanzern aus deutscher Rüstungsproduktion beim Einmarsch der Türkei im kurdischen Afrin in Syrien zu protestieren. Den beiden Aktivisten der Initiative »Rheinmetall entwaffnen« Christoph B. und Kai S. wurde Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorgeworfen. Ihnen wurde zur Last gelegt, »energisch das Transparent festgehalten« zu haben, wie es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft heißt. Vor dem Gericht erscheinen die beiden Angeklagten in roten T-Shirts, auf denen der Text des Banners gedruckt steht. Auch viele Menschen im Zuschauerraum tragen diese Shirt. Der Prozess beginnt mit einer gehörigen Verspätung, da der Verhandlungsaal mehrfach verlegt wurde. Nachdem die Angeklagten selbst über eine halbe Stunde vor dem falschen Saal warten mussten, wird ihnen der neue Ort mitgeteilt. Ihnen und den Zuschauer*innen wird bis auf Zettel und Stift alles abgenommen: kein Handy, kein Portemonnaie. Auch Schals sind verboten – Vermummungsgefahr. Nach der Anklage verlesen die Angeklagten ihre Erklärungen. Ruhig aber bestimmt klagen Christoph B. und Kai S. selbst an: Sie klagen an den Konzern Rheinmetall für die Produktion der Waffen, die Bundesregierung für die Lieferungen, Politiker wie die ehemaligen Minister Dirk Niebel (FDP) und Franz Josef Junge (CSU), die aktuell im Vorstand von Rheinmetall sitzen und vor allem die kriegsführenden Staaten. Insbesondere die Türkei wird für ihren Angriff auf die kurdischen Gebiete hart kritisiert. Ziel ihrer Aktion sei es gewesen, »den Kriegstreibern in die Suppe zu spucken« so Kai S. in seiner Stellungnahme, die dem »nd« vorliegt. »Nicht die Kriegsgegner, sondern Rheinmetall und die Bundesregierung gehören auf die Anklagebank«, so fasst Christoph B seine Aussage zusammen. Im Zuschauerraum brandet Applaus auf. Die Richterin droht mehrfach, den Saal räumen zu lassen. Noch ehe die Zeugen aussagen können, stellt die Verteidigung den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens. Es sei bisher nicht hinreichend geklärt, ob die Entwendung des Transparents durch die Polizei nicht rechtswidrig gewesen sei. Die Verhandlung wird unterbrochen. Nach einer guten halben Stunde dann die überraschende Einigung. Das Verfahren wird gegen eine Zahlung von je 500 Euro an den »Studienkreis Deutscher Widerstand« eingestellt. Erleichterung sowohl bei den Angeklagten als auch im Zuschauerraum. Bereits am frühen Morgen hatten sich vor dem Gericht rund 50 Unterstützer*innen mit Bannern wie »Rheinmetall tötet« und Fahnen der kurdischen Befreiungsbewegung versammelt. Diese Form der Solidarität sei extrem wichtig gewesen, so Christoph B. im Gespräch mit dem »nd«. »Einen solchen Prozess politisch zu führen, ist immer eine gute Idee«. Das Verfahren sei von Anfang an »absurd« gewesen und hätte nur der Einschüchterung gedient. Dies sei nicht gelungen. Die Proteste hingegen sollen weitergehen. Am 28. Mai findet die diesjährige Aktionärsversammlung statt. Die Initiative »Rheinmetall entwaffnen« ruft wieder zu Protesten auf.