Erschienen auf Supernova.
In Berlin findet aktuell wieder einmal der »Europäische Polizeikongress« statt. Dabei treffen sich Vertreter*innen der Polizei und Sicherheitsbehörden mit Politiker*innen und Fachleuten. Horst Seehofer wird ebenso am Start sein wie die Sympathieträger Boris Palmer und der Chefredakteur der »Bild« Julian Reichelt. Doch was spricht dagegen, wenn sich die Polizei, unser »Freund und Helfer«, zum Kaffeeklatsch trifft?
Selbst die bürgerliche Presse kritisiert beizeiten die Polizei: Seien es die überzogenen Einsätze rund um den Bahnhof Stuttgart 21, der G20-Gipfel oder Gewalt gegen Fußballfans.Oft vermitteln die Medien dabei aber den Eindruck, das Hauptproblem rechtswidriger Polizeigewalt liege im Verhalten einzelner Beamter. Sieben Gründe warum Polizeigewalt kein individuelles Problem ist – sondern strukturell in der Institution Polizei verankert.
1. »Mia san mia«
Bei der Polizei gibt es eine sogenannte »Wohlverhaltenspflicht«: Danach haben Beamte alles zu vermeiden, das dem Ansehen der Polizei schaden könnte. Unter anderem gehört dazu: keine Dienst-Interna ausplaudern. Wer etwas ausplaudert, wird »aus der Gruppe gemobbt. Kameradenverrat ist eine Todsünde«, so Rafael Behr, Professor für Polizeiwissenschaften und Autor des Buches »Cop Culture – Der Alltag des Gewaltmonopols. Männlichkeit, Handlungsmuster und Kultur in der Polizei«. Der wichtigste Bestandteil dieser »Cop Culture« ist, sich nicht anzuschwärzen und sich gegenseitig zu decken.
Ein Beispiel hierfür ist der G-20-Gipfel. Von den 148 Ermittlungsverfahren gegen Polizist*innen im Zuge der Auseinandersetzungen in Hamburg wurden 78 wieder eingestellt – teilweise durch schützende Aussagen von Kolleg*innen. Anklagen oder Urteile gab es bisher keine.
G20 ist kein Einzelfall: Rund 2000 Verfahren wegen Verdacht auf überzogene Polizeigewalt gibt es im Jahr, weniger als drei Prozent davon münden in einer Anklage. Die Kolleg*innen halten schön die Fresse.
2. »Ich bin ja kein Rassist, aber…«
Insbesondere die US-amerikanische Black-Lives-Matter-Bewegung hat das Thema rassistischer Polizeigewalt auf die Tagesordnung gesetzt. Doch auch in Deutschland ist sie ein Thema: Aamir Ageeb stirbt 1999 bei seiner Abschiebung an den Folgen von vorsätzlicher Körperverletzung durch Beamte des Bundesgrenzschutz. Im Januar 2005 stirbt Oury Jalloh in einer Polizeizelle. An Armen und Beinen gefesselt, verbrennt er bei lebendigem Leibe.
Die Polizei spricht dabei immer von »Einzelfällen«. Ein ebensolcher »Einzelfall« soll die Bedrohung der Frankfurter Rechtsanwältin Basay-Yildiz sein. Basay-Yildiz hat Opfer im NSU-Prozess vertreten. Sie und ihre Familie wurden bereits mehrmals vom Absender »NSU 2.0« bedroht. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass ihre Daten über einen Polizeicomputer abgefragt worden waren.
Scheinbar gibt es nicht nur in der Bundeswehr rechtsradikale Netzwerke, sondern auch in der Polizei. Oliver von Dobrowolski ist Polizist und Vorsitzender der Berufsvereinigung PolizeiGrün. Er setzt sich für eine weltoffene und eigenkritische Polizei ein. Auch für ihn deuten diese »krassen Extremismusverdachtsfälle« darauf hin, »dass die Einzelfalltheorie nicht haltbar ist.« Dies zeigt sich auch im konkreten Handeln der Beamten, dem ›racial profiling‹: Vor allem People of Color berichten immer wieder, besonders häufig von der Polizei kontrolliert zu werden. Dass es sich hier nur um Vorurteile und keine Argumente handelt, zeigen die Zahlen: Nur 2,3 Prozent dieser „verdachtsunabhängigen Personenkontrollen“ decken einen Gesetzesverstoß auf.
3. Same same, but different
Anfang des Jahres haben Polizist*innen ein Obdachlosencamp in Berlin-Mitte geräumt, dabei wurde einer gefesselten Frau von hinten ein Tuch über den Kopf gezogen, es wie einen Sack zugeschnürt und sie abgeführt. Währenddessen wurde ihr Hab und Gut in ein Müllfahrzeug geladen. Kurz nach der Räumung dankte der (grüne) Bezirksbürgermeister der Polizei für ihr »umsichtiges und engagiertes Handeln zur Wiederherstellung akzeptabler Zustände auch an diesem Ort.« Im Januar 2009 hatte ein Polizist in München einem rumänischen Bettler grundlos ins Gesicht geschlagen. Der Polizist hatte vor Kolleg*innen geprahlt, dass er »der blöden Sau« einen »eingeschenkt« habe.
Vor dem Gesetz sind alle gleich und auch die Polizei solle stets ohne Ansehen der Person handeln. Tatsächlich haben aber Obdachlose, Menschen in sogenannten Problem-Vierteln, Migrant*innen und arme Menschen statistisch weit mehr Kontakt mit der Polizei als reiche Deutsche. So sind sie nicht nur verstärkter Kontrolle ausgesetzt, sondern auch Polizeigewalt verstärkt und schutzlos ausgeliefert, fast täglich kommt es zu rassistischen und sexistischen Übergriffen durch die Polizei. »Wer in der Hauptsache mit delinquenten Gruppen, mit Minderheiten oder bestimmten Communities zu tun hat, kann leicht in stereotypes Denken verfallen«, so von Dobrowolski. »Gerade bei Polizisten wäre wichtig, das im Dienst Erlebte nachzubereiten und im Kontext der gesellschaftlichen Situation zu bewerten.«
4. „Was hattest du denn für Klamotten an?“
Die Polizei verdächtigt nicht nur manche Menschen eher als andere, sie hilft auch – wenn überhaupt – nur bestimmten Gruppen. Betroffene von sexualisierter Gewalt werden von Polizist*innen oft nicht ernst genommen und müssen sich bescheuerte Fragen anhören, wie „Was hattest du denn für Kleidung an?“ Solche Erlebnisse können das Trauma verschlimmern – bringen tut der Gang zur Polizei dagegen selten etwas. Nur etwa 13% der angezeigten Vergewaltigungen führen tatsächlich auch zur Verurteilung. Wie die Gründerinnen von #Ausnahmslos betonen, ist die Hürde, Anzeige zu erstatten, für Frauen mit unsicherem Aufenthaltsstatus besonders hoch, weil ein Sexualdelikt schnell zur Abschiebung des Täters führen kann – und die stammen meist aus dem sozialen Umfeld.
In 95 Prozent der Fälle kommen Betroffene von sexualisierter Gewalt zu dem Schluss: Die Polizei wird die Situation nicht besser machen – und vielleicht sogar schlimmer.
5. Von Schlagstöcken zu Handgranaten
Vergleicht man Bilder der Studierendenproteste um 1968 mit dem Auftreten der gegenwärtigen Polizei, sind die Unterschiede gravierend. Hier: Polizeimützen, Anzug, Krawatte und Schlagstock. Dort: hoch ausgerüstete RoboCops mit Quarzhandschuhen, Panzerungen und schwerem Gerät. Neben der verstärkten Militarisierung der Polizei tritt auch noch die Ausweitung polizeilicher Handlungsfelder. So geht es zunehmend um den Einsatz smarter Kriminalitätsbekämpfung, inklusive Videoüberwachung und künstlicher Intelligenz.
Alle 16 Bundesländer verschärfen im Moment ihre Polizeigesetze – in Bayern beispielsweise wurde das schärfste Polizeigesetz seit 1945 bereits verabschiedet. Die Polizei erhält weitreichende Befugnisse, Bald gibt es Cops mit Handgranaten und Maschinengewehren.
6. Das Private ist politisch – auch bei der Polizei
Gehen wir mal davon aus, dass es einen Anteil von Polizist*innen gibt, die mit gutem Gewissen ihren Dienst tun und glauben, für »Recht und Ordnung« zu arbeiten. Sie vermeiden Gewalt, sind emphatisch zu ihren Mitmenschen und haben daheim einen Garten, den sie pflegen und eine Familie, die sie lieben. Wie kann man solche Menschen kritisieren? Ganz einfach: sie sind und bleiben als Polizist*innen Beamte und schwören ihren Eid auf diesen Staat. Damit machen sie sich alle, ob gewollt oder nicht, zum Teil des staatlichen Grenzregimes, der Abschottungs- und Asylpolitik und der alltäglichen polizeilichen Gewalt. Sie spielen mit und halten den Laden am Laufen. Sie organisieren Abschiebungen, verprügeln Demonstrierende und drangsalieren Obdachlose oder Drogen-Nutzer*innen – egal wie nett und freundlich sie als Privatperson auch sein mögen. Die Band Feine Sahne Fischfilet hat es in ihrem Lied »Wut« verarbeitet: Wer wirklich Menschen helfen will, kann gerne zur freiwilligen Feuerwehr gehen, sich in der Obdachlosenhilfe engagieren oder ein Nachbarschafts-Cáfe gründen. Waffen braucht man dafür nicht. Niemand muss Bulle sein.
7. Das Feindbild Freiheit
Während Rechtsradikale in Deutschland seit der Wende knapp 200 Menschen ermordet haben, dämonisiert Staat und Polizei verstärkt linke Aktivist*innen. Das konnte man auch im Vorfeld des G-20-Gipfels gut erkennen. Da war die Rede von »bis zu 8000 Chaoten aus aller Welt«, die die Stadt auseinandernehmen würden.
Dieser Fokus macht in der staatlichen Logik auch Sinn. Während die Rechten nach noch mehr Ordnung und Disziplin verlangen als die Polizei teilweise selbst, richtet sich linker Protest gegen staatliche Autorität.
8. Schöner Leben ohne Cops
Häufig wird gesagt, dass uns Polizist*innen nur voreinander schützen würden. Ein Leben ohne Polizei und Staat? Man könnte sofort dem Nächstbesten den Schädel einschlagen und überhaupt: Sodom und Gomorrha. Sieht man sich das aber näher an, sind viele Gesetze an die derzeitigen Eigentumsverhältnisse gekoppelt. Die Polizei schützt die derzeitige Ordnung, die sich Kapitalismus schimpft. Wer dagegen aufbegehrt, bekommt es mit dem Gewaltmonopol des Staates zu tun. Doch wie wäre das in einer befreiten Gesellschaft? Niemand müsste sich mehr fürchten, Grenzen zu überschreiten. Diebstahl wegen Hunger gäbe es nicht mehr und Häuser besetzen würde »wohnen« heißen. Es wäre absurd anzunehmen, dass es kein doofes Verhalten mehr geben würde – doch viele Gründe würden sicherlich wegfallen.
Wie weiter?
Die individuelle Kennzeichnungspflicht von Polizist*innen und die Einsetzung einer unabhängigen und anonymen Kontroll- und Beschwerdestelle wären erste sinnvolle Schritte, um Betroffenen von Polizeigewalt die Möglichkeit zu geben, gegen die Polizei vorzugehen. Doch verbleiben Gerichtsprozesse in der Verhandlung der Schuld Einzelner – die Polizei als Ganzes wird dadurch nicht in Frage gestellt. Um dies zu ermöglichen, bräuchte es eine gesellschaftliche Bewegung, die eine Frage des Philosophen Walter Benjamin aufnimmt, ob (polizeiliche) Gewalt als Mittel überhaupt für gerechte Zwecke anzuwenden sei. Die Antwort sollte einigermaßen klar sein.