Florian Ludwig erzählt in seinem Episoden-Roman von der Nachwendezeit in der Provinz in Brandenburg. Zwischen Nazis und Fußball war so einiges möglich.
Erschienen in Ost Journal
Lebensgefühl. Mit diesem Wort bringt Katja Nicodemus in der ZEIT ihre Rezension des Filmes „Als wir träumten“ von 2015 auf den Begriff. Im Film von Andras Dresen geht es um das Leipzig nach der Wende. Fünf Jungs erkunden sich und ihre neue Freiheiten. Sie klauen Autos, probieren Drogen und gründen ihre eigene Diskothek – einen Techno-Club. Es folgen Auseinandersetzungen mit glatzköpfigen Neonazis, Beziehungsdramen, aber dabei immer dieses jugendliche Gefühl, dass alles geht und alles möglich ist.
Von diesem Gefühl scheint auch Florian Ludwig geleitet. Leipzig ist bei ihm die brandenburgische Provinz und sein Techno heißt Punkrock. Und doch finden sich deutliche Parallelen zwischen „Als wir träumten“ und Ludwigs Buch, dass er über seine Jugend in Brandenburg geschrieben hat. „Brandenburg muss brennen, damit wir grillen können“ heißt der Roman, angelehnt an einen bekannten Song der Hamburger Punkband Slime.
In einzelnen Episoden erzählt Ludwig dabei von Nazis und Punks, von Fußballspielen und Konzerten, von Spießern und von einer Polizei, die eine Zeit lang nicht mehr so genau weiß, welchem Staat sie eigentlich dient. Geschickt verwebt Ludwig im Buch seine eigene Geschichte und Gegenwart mit den Ereignissen dieser seltsamen Zwischenwelt nach der Wende. Auch wenn dabei zwischen biografischer Erzählung und Fiktion unterschieden wird, wirken die Geschichten so lebensnah, als dass Ludwig sich all dies sicher nicht einfach nur ausgedacht hat.
In einzelnen Episoden erzählt Ludwig von Nazis und Punks, von Fußballspielen und Konzerten, von Spießern und von einer Polizei, die eine Zeit lang nicht mehr so genau weiß, welchem Staat sie eigentlich dient.
Florian Ludwig selbst kann auf eine Jugend im ländlichen Brandenburg zurückblicken, die von Unterklassenfußball, prekären Arbeitswelten und jeder Menge obskurer Charaktere geprägt ist. All dies wird im Buch verarbeitet. Auch die Berliner Subkulturen wie die Punkbewegung der Nachwendezeit finden Erwähnung. Dabei beschreibt Ludwig eine Tatsache, die damals prägend für ihn war. Im Grunde gab es auf dem Land nur zwei Jugendkulturen. Man musste sich entscheiden: Nazis oder Linke. Vereinzelt spielen noch Untergruppen wie Skinheads oder Grufties eine Rolle, aber fast alle lassen sich auf das Freund-Feind-Schema zurückführen.
Ludwig selbst macht keinen Hehl daraus, wie er sich entschieden hat. Sein Lieblingsverein ist der Berliner Traditionsverein „Tennis Borussia“, kurz „TeBe“. Der Fünftligist ist für seine linke Fankultur bekannt. Als ein neuer Vorstand von TeBe jüngst diskutierte, ob eine Regenbogenfahne im Stadion „zu politisch“ sei, wurde Florian der Verein unsympathisch. Als Punk sympathisierte er mit der Arbeitsverweigerung, hatte immer kleine Jobs. Einmal hat er gegen eine Kündigung geklagt. Nicht, weil er den Job mochte, sondern aus Prinzip. Er wollte es seinem Chef nicht so leicht machen.
Sein erstes Buch „Mit Fußfesseln bin ich nicht so flott“ (2014) schrieb er über die Umstände seiner Verhaftung. Wegen des Vorwurfs einer versuchten Brandstiftung an Fahrzeugen der Bundeswehr wurde er zu drei Jahre Gefängnis verurteilt. Die taz meinte damals: „Ein Buch für die Revoluzzer von gestern, die Normalos von heute und die Spießer von morgen.“
Im Grunde gab es auf dem Land nur zwei Jugendkulturen. Man musste sich entscheiden: Nazis oder Linke.
Im Zentrum seines aktuellen Buches steht Berndte. Berndte ist Punk. Er ist jung, verliebt, neugierig. In einer Kleinstadt erlebt er den Nachwendeblues seiner Freund:innen, seiner Eltern, seines ganzen Umfelds. Wie im Rausch stürzt er sich mit seiner Gang auf die neuen Möglichkeiten: Konzerte, Partys, Fußball oder Auseinandersetzungen mit Nazis. Gemeinsam träumen sie und stellen sich die große Frage der Provinz: „Gehen oder bleiben?“
Berndte liest sich dabei wie aus einer verloren gegangenen Zeit. Dieser Protagonist einer linken Szene wirkt wie Folklore, mit seiner Abneigung gegen Nazis, die Polizei, den Staat und das gesamte bürgerliche Milieu. Er ist politisch unkorrekt. Alkoholverbote auf Demos ignoriert er. Als er in einer Szene des Buches eine Berliner Studentin „Mutti“ nennt, kontert sie „Macker“. Was Linke heute eher betonen, eine Mischung aus nachhaltigem Konsum und gendersensibler Sprache, existierte zu der Zeit noch nicht.
Ludwig schildert seine Charaktere mit einer empathischen Nähe und entdeckt den versteckt lauernden Witz im nicht alltäglichen Alltag. Diese Nonchalance zeichnet auch Sebastian Lotzers Episoden-Roman „Begrabt mein Herz am Heinrichplatz“ (2017) aus. Dort bewegt sich der Protagonist Paul in der Welt der Hausbesetzer im West-Berlin der 80/90er Jahre. Beide Bücher beschreiben eine untergegangene Welt, die aber stark zur Politisierung der Beteiligten beigetragen hat. Man darf dabei jedoch nicht den Fehler machen, die Bücher melancholisch zu lesen, sondern muss sie als Erinnerung betrachten, die vielleicht dabei helfen können, dass die Revoluzzer von gestern auch heute noch welche bleiben können – und dass die Revoluzzer von morgen wissen, was die Generationen vor ihnen so getrieben haben.
Florian Ludwig: Brandenburg muss brennen, damit wir grillen können. Satyr Verlag. 184 Seiten. 14 Euro.