„White Trash“, „sozial Abgehängte“ – mit derlei stigmatisierenden Zuschreibungen wird häufig die Klientel des Populismus benannt. Statt an kulturalistischen Legenden mitzuschreiben, will Philip Manow die sozioökonomische Basis der verschiedenen populistischen Bewegungen auch tatsächlich untersuchen.
Erschienen in woxx 1506.
„Wer über den Populismus reden will, aber nicht zugleich auch über den Kapitalismus, landet meist nur bei der Identitätspolitik.“ Ein Satz wie ein Paukenschlag. Formuliert hat ihn der Bremer Politologe Philip Manow – angelehnt an das Diktum des Philosophen Max Horkheimer, wer aber vom Kapitalismus nicht reden wolle, solle auch vom Faschismus schweigen.
Doch auch jenseits solcher Formeln weiß Manow mit seinem jüngst erschienenen schmalen Bändchen „Die Politische Ökonomie des Populismus“ seine Leser*innen zu fesseln: Auf lediglich 160 Seiten schafft er es, mehr über das Phänomen Populismus zu sagen, als andere in dicken Wälzern.
Populismus ist ein uneindeutiges Phänomen. Manchmal ist er rechts, manchmal links, immer gegen ‚die da oben‘, aber selten steht er für etwas Konkretes. Vielfältig wird das Phänomen in den Sozialwissenschaften diskutiert. Hier finden sich die unterschiedlichsten Erklärungen. In drei Punkten herrscht jedoch Einigkeit: Erstens zeichne sich Populismus nicht in erster Linie durch Inhalte, sondern vielmehr durch seinen Stil aus. Zweitens seien die Unterstützer*innen populistischer Bewegungen meist die sozial Abgehängten und drittens sei der Populismus eine kulturelle Abwehrreaktion auf die rasanten Veränderungen der Welt durch die Globalisierung.
Diesen Beschreibungen stellt Manow, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bremen, eine ökonomische Erklärung entgegen und hebt sich damit von vielen Studien ab. Insbesondere zwei Defizite des derzeitigen Populismusdiskurses möchte er beheben.
Zum einen geht es ihm darum, den „ökonomischen Ursachenkomplex“ für Populismus nicht zu vergessen. Manow will die Debatte aus dem Bereich der politischen Leidenschaft und der Moral befreien. Wer sich wie äußere, hänge nicht in erster Linie mit Gefühlen und Identitäten zusammen, sondern damit, dass Menschen einem bestimmten sozioökonomischen Milieu angehören. Mit dieser Sichtweise wendet er sich gegen eine „Kulturalisierung des Politischen“, wie sie der Soziologe Andreas Reckwitz beschreibt.
Dies will Manow durch die Beseitigung eines zweiten Defizits in der Populismusforschung erzielen: der fehlende Ländervergleich der Analysen. Gegenstand seines Buches ist daher nicht nur eine politische Ökonomie des Populismus, sondern gleichzeitig auch eine vergleichende politische Ökonomie. Selten wurde bislang die geographische Varianz populistischer Programme behandelt, für Manow ist sie aber essentiell. Er stellt sich die Frage, warum man in Südeuropa in erster Linie einen Linkspopulismus findet, der sich gegen die offenen Märkte und die Verwerfungen des neoliberalen Kapitalismus wendet, wohingegen in Nord- und Westeuropa der Rechtspopulismus mit seiner Kritik an Migration und Zuwanderung dominiert.
Manow entwickelt in Anlehnung an den Harvard-Ökonomen Dani Rodrik eine Erklärung für dieses ambivalente Bild. Den Ausgangspunkt für die verschiedenen Populismusformen findet Manow in den unterschiedlichen Wirtschafts-, Arbeits- und sozialen Sicherungssystemen der jeweiligen Länder. Die „starken“ Exportnationen in Nord- und Westeuropa, insbesondere Deutschland, können sich einen relativ ausgeprägten Sozialstaat leisten. Angebliche Bedrohung komme von außen – durch Migration. Um den Sozialstaat zu schützen, müsse man die offenen Grenzen schließen. Dies ist die Antwort der sogenannten „Alternative für Deutschland“.
In den „schwachen“ südeuropäischen Volkswirtschaften sieht die Lage ganz anders aus. Dort wird in erster Linie für den eigenen Markt produziert. Die Bedrohung liegt nicht in der Freizügigkeit von Personen, sondern der Waren. Billigprodukte, etwa aus China, führten dazu, dass die heimische Wirtschaft nicht mehr konkurrenzfähig sei. Daher äußere sich hier der Linkspopulismus als Protektionismus, verbunden mit Anrufungen an den Staat, Sozialprogramme auszubauen.
Am Beispiel der rechtspopulistischen AfD in Deutschland gelingt es Manow, seine Thesen auch empirisch zu belegen. Anhand von Daten, die er bis auf die Ebene der einzelnen Wahlkreise in Deutschland beschreibt, belegt er, dass die Rechtspopulisten nicht nur von den angeblichen „Verlierer*innen“ und „Abgehängten“ gewählt werden, sondern gerade auch in Regionen mit hohen Beschäftigungszahlen und prosperierender Wirtschaftsleistung. Diesen Menschen scheint es in erster Linie um den Erhalt ihres Status zu gehen. Ihre Sorgen drücken sie durch ihr Kreuz bei der AfD aus.
Manow liefert eine lesenswerte ökonomische, man könnte gar sagen materialistische Erklärung des Phänomens Populismus. Doch schießt er an manchen Stellen über das Ziel hinaus, wenn er versucht, wirklich alle Phänomene auf sozioökonomische Unterschiede herunterzubrechen. Populisten werden aber nicht ausschließlich aufgrund ökonomischer Gründe gewählt. Wenn etwa Rassismus oder Sexismus gar nicht erwähnt werden, drängt sich der Eindruck auf, Manow unterscheide zwischen vermeintlichen Haupt- und Nebenwidersprüchen.
Gleichzeitig ist seine Hinwendung zur Gesellschaft als politischer Ökonomie ein notwendiger und wichtiger Schritt – gerade in Zeiten, in denen selbst als neomarxistisch sich verstehende Autor*innen wie Chantal Mouffe einen linken Populismus fordern, der auf eine gefährliche Emotionalisierung und eine billige Unterscheidung zwischen gutem Volk und bösem Establishment hinausläuft. Für Mouffe und andere funktioniert Politik über konfrontative Wir-Sie-Konstruktionen. Manow hat erkannt, dass das so verstandene Politische sich nicht auf rein diskursiver Ebene bewegt, sondern wesentlich von der Ökonomie bestimmt ist. Dafür lohnt sich die Lektüre.
Philip Manow – Die Politische Ökonomie des Populismus. Suhrkamp Verlag, 160 Seiten.