Erschienen im APO-Lexikon des Neuen Deutschland vom 10.10.2018
Seit knapp 150 Jahren singen Generationen von Linken die „Internationale“ und beschwören darin das Ende jeglicher Ausbeutung und den Beginn der Gesellschaft der Freien und Gleichen. Irgendwann reichen inkrementelle Veränderungen oder Reformen nicht mehr aus, irgendwann muss es knallen und das Alte durch das Neue, das Morsche durch das Moderne, der Kapitalismus durch den Kommunismus ersetzt werden. Auf diesen Moment gilt es sich vorzubereiten. Egal ob die Revolution auf der Barrikade oder im Parlament, durch Wahlen oder Waffengewalt gewonnen wird, irgendwann wird sie einen Zustand herstellen, hinter den es kein zurück mehr geben kann – erreicht durch das „letzte Gefecht“. Auferstanden aus den Ruinen (so ein anderes bekanntes Lied) wird die neue Welt errichtet. Doch wie wird diese Welt aussehen, wenn es nichts mehr zu bekämpfen gibt, wenn alle Widersprüche aufgehoben worden sind? Das Paradies auf Erden? Die Rockband Madsen sang vor einigen Jahren „Doch was kommt nach dem Happy End? Nach all den Dingen, die jeder kennt. Alles ist gut, doch was wird dann? Sind alle glücklich ein Leben lang oder was kommt dann?“
Die Fragen entwaffnen, denn glaubt man wirklich mit einem Schlag alle Übel der Welt für alle Zeit beseitigen zu können? Anstelle sich zu überlegen, wie man sich fürs letzte Gefecht zu rüsten habe, wäre es angebracht, Kämpfe im Hier und Jetzt zu führen. Das ist anstrengender und weniger heroisch als der finale Endschlag – aber umso notwendiger. chw