Der Vertrag des linken Kneipenkollektivs wird nicht verlängert, die Zukunft damit ungewiss
Erschienen in Neues Deutschland vom 08.08.2018
Über dem Tresen hängt eine Uhr, die anzeigt, wie viele Tage der Mietvertrag der Meuterei noch läuft. Es sind nur noch knapp 300, dann scheint Schluss zu sein für das Kneipenkollektiv in der Reichenberger Straße 58 in Berlin-Kreuzberg.
Vor über neun Jahren mietete das Kollektiv die Ladenräume an, um daraufhin einen Kneipenbetrieb mit politischen und kulturellen Verunstaltungen aufzubauen. Neben dem regulären Betrieb finden in der Kneipe regelmäßig Veranstaltungen, Lesungen, Plena oder Mal- und Spielesonntage statt. Ebenso werden Rechtsberatungen angeboten. Die Meuterei ist mit anderen Kiezstrukturen vernetzt, so dass regelmäßig Stadtteilversammlung mit Bewohner*innen des Bezirks stattfinden. Daraus entwickelte sich später das eigene Projekt Café Reiche mit seinen Stadtteilversammlungen und Aktionen.
2011 wurde das Haus in der Reichenberger Straße im Auftrag der »Zelos Properties GmbH« an die »Vivum Consulting GmbH« weiterverkauft. Vielen Berliner*innen werden diese Firmen noch ein Begriff sein. Sie traten auf im Zusammenhang mit den Mietkämpfen um das Haus in der Torstraße 69, in der die linke Traditionskneipe Baiz bis 2014 ihre Räumlichkeiten hatte, und um das Haus am Lausitzer Platz 17. Die Meuterei organisierte nach dem Verkauf des Hauses Mieter*innenversammlungen, um die Bewohner*innen zum Widerstand zu motivieren – leider erfolglos, denn viele Mieter*innen ließen sich aus den Verträgen kaufen und verließen das Haus. Die Meuterei blieb und klagte auf Verlängerung um weitere fünf Jahre. Daraufhin kam es zur Kündigung und zu einem Rechtsstreit, den die Meuterei gewann.
Nun sind diese fünf Jahre jedoch abgelaufen. Die Meuterei hat einen Gewerbemietvertrag, der nach Ablaufen keine automatische Weitervermietung beinhaltet, sondern eventuell einen neuen Vertrag. Somit hat die Kneipe nicht mehr Rechte als alle anderen, die ebenfalls diesen Raum mieten wollen. »Das heißt wir haben keine Möglichkeiten eine Verlängerung des Vertrags einzuklagen«, so die Meuterei in einer aktuellen Stellungnahme.
In einer ähnlichen Situation befinden sich auch weitere linke Läden in Berlin-Kreuzberg und Neukölln. Die Kneipenkollektive Syndikat und Tristeza stehen ebenso wie das Cafe k-fetisch und der Techno-Club ://about blank vor einer ungewissen Zukunft.
Die Geschichte der Kollektive ist dabei eine Geschichte der Verdrängung und des Widerstandes – und somit auch eine Geschichte Kreuzbergs. Der ehemalige Arbeiter*innenbezirk war bis zur Wende geprägt von seiner Randlage in West-Berlin. Studierende, Migrant*innen und die gesamte Alternativszene bestimmten den Kiez. Dann rückte der Bezirk in die Mitte Berlins und geriet ins Rampenlicht der Immobilienwirtschaft. Die Altbauten wurden saniert, die Mieten erhöht. Bewohner*innen, die sich dies nicht mehr leisten können, müssen wegziehen. Ein paar Straßen weiter in der Ohlauer Straße soll nun der Google-Campus entstehen, der weiter zur Aufwertung der Gegend beitragen wird.
Die kapitalistische Verwertungslogik macht nun auch vor der Meuterei nicht halt. Wer aktuell über die Reichenberger Straße läuft, dem fällt die Kneipe zwischen all den hippen Cafés und Ketten auf. War die Straße vor einigen Jahren noch stärker von kleinen Läden geprägt, gehört die Meuterei mittlerweile zu den letzten erschwinglichen Kneipen, die auch versucht, »offen zu sein für verschiedenste Menschen, die aus dem Kiez verdrängt werden sollen und die keinen Zugang zum neuen Kreuzberg haben«, so in der Stellungnahme.
Wie es nun weitergeht, ist noch unklar. Klar ist, die Meuterei wird nicht einfach aufgeben. Auf die Politik will die Meuterei nicht vertrauen. Das Kollektiv lehnt nach Eigenaussage die Zusammenarbeit mit Parteipolitiker*innen ab. Ebenfalls wenig optimistisch geht das Kollektiv in Gespräche mit dem Hauseigentümer. Hier gibt es Ende August einen Gesprächstermin.
So wird die nähere Zukunft sicherlich konflikthaft aussehen. Die Meuterei dazu: »Ob wir glorreich (und mit Krach) untergehen oder doch eine Chance zur Verlängerung besteht, hängt von uns allen ab. Ob mit uns zusammen oder in euren Gruppen, jegliche Unterstützung ist erwünscht.« Vom 31.8. – 1.9. findet das jährliche Reichenberger Straßenfest statt. Dort wird es die Möglichkeit geben, sich über die Neuigkeiten vom Gesprächstermin mit dem Eigentümer zu informieren und weitere Aktionen zu planen, um die Meuterei zu erhalten, die für das Kollektiv »eben doch nicht nur irgendeine Kneipe ist. Sie ist unser öffentliches Wohnzimmer.«