Frauengeschichte(n). Erschienen in Neues Deutschland vom 23.06.2018
Auf der einen, der rechten Seite saßen sie: 230 NSDAP-Abgeordnete, in Uniform, die nahezu die Hälfte des Plenarsaals füllten. Auf der anderen Seite, am Rednerpult, eine 75-jährige Kommunistin. Fast vollständig erblindet und schwer krank: Clara Zetkin. Am 30. August 1932 eröffnete sie als Alterspräsidentin die erste Sitzung des neu gewählten Reichstags und warnte eindringlich vor den Gefahren des Faschismus. Die in einem russischen Sanatorium Lebende war für die Rede in Begleitung ihres Sohnes Maxim aus Moskau nach Berlin angereist. Dem Aufruf ihrer Parteiführung wollte die Kommunistin nicht widersprechen. In der Rede plädierte sie für die Einheitsfront und hatte sogar die Chuzpe, den Nazis ins Gesicht zu sagen, dass sie hoffe, einst noch, »als Alterspräsidentin den ersten Rätekongress Sowjetdeutschlands eröffnen« zu können.
Klare Positionen gegen Widerstände zu vertreten, war stets Sache der 1857 im Erzgebirge geborenen Clara Zetkin. 1889 referierte die Vorkämpferin für Frauenrechte auf dem Gründungskongress der II. Internationale in Paris über die proletarische Frauenbewegung und deren Bedeutung für den Sozialismus. Sie organisierte gegen Vorbehalte der eigenen Parteiführung Frauenkonferenzen.
In der von ihr herausgegebenen Frauenzeitung »Die Gleichheit« artikulierte sie Forderungen, die weit über die der bürgerlichen Frauenbewegung hinausgingen: Neben den Frauenwahlrecht trat sie für gleichen Lohn ein, plädierte für die Teilung der Familien- und Hausarbeit zwischen Mann und Frau, für die Abschaffung des Paragrafen 218 und für das Recht auf freie Liebe.
Clara Zetkin begrüßte die russische Revolution 1917, trat der KPD bei und schrieb voller Begeisterung Briefe an Lenin. Dieser antwortet der »sehr geehrten Genossin« mit »besten Grüßen und wärmster Hochachtung«. Im Gegensatz zu Rosa Luxemburg hielt sie sich mit offener Kritik an dem leninistischen Parteityp zurück. Gedankt wurde es ihr nicht. Die Grande Dame des Sozialismus wurde gern als Aushängeschild der sowjetischen und deutschen Kommunisten genutzt, jedoch zunehmend isoliert. Man warf ihr ihre sozialdemokratische Vergangenheit vor.
Nach dem Reichstagsbrand in der Nacht vom 27. zum 28. Februar 1933 trat sie ein letztes Mal an die Öffentlichkeit. Als Leiterin der Internationalen Roten Hilfe verfasste sie einen leidenschaftlichen Aufruf: »Wir alle dürfen nicht rasten und ruhen, bis der Faschismus, der blutige Unterdrückung, Terror, Hunger und Krieg im Gefolge hat, zerschmettert am Boden liegen wird.«
Clara Zetkin wird dies von ihr prophezeite Ende der Nazidiktatur nicht mehr erleben. Sie starb vor 85 Jahren, am 20. Juni 1933, in Archangelskoje, Oblast Moskau, und wurde an der Kremlmauer beigesetzt. Ihre Urne trugen Molotow und Stalin – das hat sie nicht verdient.