Rezension zu Pauer-Studer, H./Velleman, J.: »Weil ich nun mal ein Gerechtigkeitsfanatiker bin«. Der Fall des SS-Richters Konrad Morgen.
Erschienen in Neues Deutschland vom 26.01.2018
Wenn Philosophen eine Biografie schreiben, steckt wohl mehr dahinter als das reine Interesse an der Lebensgeschichte eines Menschen. So verhält es sich auch bei dem Buch »Weil ich nun mal ein Gerechtigkeitsfanatiker bin«. Die Wienerin Herlinde Pauer-Studer hat es zusammen mit ihrem New Yorker Kollegen J. David Velleman verfasst. Es erschien 2015 in Englisch. Die erweiterte deutsche Ausgabe ist von einem rechtstheoretischen Exkurs eingerahmt. Gestützt auf Berichte und Briefe des Protagonisten Konrad Morgen (1909- 1982) sowie auf seine Aussagen im Nürnberger Tribunal und beim Frankfurter Auschwitz-Prozess, wird die Karriere eines SS-Richters nachgezeichnet.
Die Gründe für seinen Eintritt in die NSDAP und SS seien, behauptete Morgen später, »rein opportunistischer Natur« gewesen. Jedoch hat er sich früh mit Hitlers Diktatur arrangiert. Im Herbst 1940 kam er zur SS-Gerichtsbarkeit, drei Jahre später wurde er mit der Untersuchung von Korruption in Konzen-trationslagern beauftragt. Aufgrund seiner Ermittlungen wurde beispielsweise der Kommandant von Buchenwald, Karl Otto Koch, zum Tode verurteilt.
Morgen war ein ambivalenter Täter. Er ermittelte zwar gegen hochrangige Nazis, jedoch nicht etwa wegen deren Verbrechen wider die Menschlichkeit.
Das Buch versucht zu eruieren, inwieweit Morgen moralische Grundsätze leiteten oder ob er lediglich NS-Recht vertreten habe. Eine eindeutige Antwort wird auf diese Frage nicht gegeben, kann es vielleicht auch nicht geben. Das Autorenduo verweist darauf, dass Morgen bereits 1942, vor seiner Versetzung nach Osten, von Gräueltaten und Massenmorden in den NS-Lagern gewusst haben muss. Nachgewiesen wird, dass er sich dem Wertekanon der SS verpflichtet fühlte. Es ging ihm um die »Reinhaltung« der eigenen Reihen. Seine Loyalität galt einer vermeintlich »idealen SS«, einer Elitetruppe, die auf die Tugenden Ehrlichkeit, Anständigkeit und Treue eingeschworen sei.
Andererseits zeigen Pauer-Studer und Velleman, dass Morgen mit seinem Vorgehen gegen höhere SS-Offiziere teilweise hohe Risiken ein. Er verstand sein Amt als »moralischen« Auftrag, der Korruption Einhalt zu gebieten. Seine Selbstbeschreibung als Gerechtigkeitsfanatiker offenbart die ganze Widersprüchlichkeit. Er hat das NS-Recht wie die politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen der Hitlerdiktatur nie ernsthaft hinterfragt.
Im rechtstheoretischen Teil des Buches wird Morgen als ein Vertreter des Übergangs vom bürgerlichen zum faschistischen Recht beschrieben. Im NS-Staat trat ein »Willensstrafrecht« an die Stelle des tatgebundenen liberalen Strafrechts. Im Mittelpunkt standen nun der »böse Wille« und die Täterpersönlichkeit. Diese Vorgaben prägten auch Morgen. So publizierte er selbst einen Aufsatz zum Typus des »Korruptionsverbrechers«, in dem von gewissen Tätertypologien auf die Bereitschaft zu Verbrechen geschlossen wurde.
Die Frage bleibt: Kann man gerecht sein in einem ungerechten System? Welche Rolle spielt Moral in einem unmoralischen Umfeld? Das Autorenduo hütet sich vor einem abschließenden Urteil. Das ist schade, auch stößt man sich an der relativ kritiklosen Hinnahme von Morgens Beschreibung der SS in diesem Buch. Man ist zudem irritiert, wenn man hier von »verbrecherischen Auswüchsen« des Nationalsozialismus liest. Das dürfte wohl eine verharmlosende Wertung sein.
(Beitragsfoto: aus dem Archiv des Fritz Bauer Instituts, Nachlass Konrad Morgen)