Die Friedrich-Ebert-Stiftung und die Rosa-Luxemburg-Stiftung erinnerten gemeinsam an das SPD-SED-Dialogpapier
Erschienen in Neues Deutschland vom 21.10.2017
Es ist der 28. August 1987. In Ost-Berlin ist das »Neue Deutschland«, damals noch Organ des Zentralkomitees der SED, restlos ausverkauft – und zwar bereits um 9 Uhr morgens. Was war geschehen? An diesem Tag wurde zeitgleich in Ost- und Westdeutschland, hier im »Neuen Deutschland«, dort im »Vorwärts«, ein Papier veröffentlicht, welches aus einem mehrjährigen Diskussionsprozess zwischen SED und SPD entstanden war. Das Dialogpapier trug den Titel »Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit« und barg für beide Seiten einiges an Sprengkraft.
Eine gemeinsame Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Rosa-Luxemburg-Stiftung erinnerte zum 30. Jahrestag der Veröffentlichung an die historische Bedeutung des SPD-SED-Grundlagenpapiers. Zwar konnte zwischen Karlen Vesper, die als verantwortliche Geschichtsredakteurin des »nd« den Abend moderierte, und dem Referenten Martin Sabrow keine Einigkeit über den tatsächlichen historischen Wahrheitsgehalt des ausverkauften »ND« von 1987 erzielt werden, an dieser Geschichte wird aber die nachhaltige Wirkung der Publikation deutlich.
Dies war dann auch Thema des Vortrags »Kalkül und Konkurs« von Sabrow. Er ist als Direktor des Zen᠆trums für Zeithistorische Forschung in Potsdam und Professor für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte an der Humboldt-Universität ausgewiesener Kenner der DDR-Geschichte. Derzeit arbeitet er am zweiten Teil seiner Biografie über Erich Honecker; der erste erschien Ende vergangenen Jahres: »Erich Honecker. Das Leben davor« (C.H. Beck, 623 S., geb., 27,95 €).
Von Februar 1984 bis April 1989 diskutierten Mitglieder der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED mit Repräsentanten der Grundwertekommission beim SPD-Parteivorstand. Das generische Maskulin in der Formulierung ist bewusst gewählt, es handelte sich nur um Männer. Den Abschluss der Diskussionen bildete dann auch ein gemeinsamer Kegelabend am Müggelsee, bei dem nicht nur politisch korrekte Herrenwitze – so wird kolportiert – erzählt worden seien.
Inhaltlich drehten sich die Debatten um drei Schlüsselbegriffe: gemeinsame Sicherheit, friedlicher Gesellschaftswettstreit und neue politische Streitkultur. Was heute wie eine Banalität erscheinen mag, hatte damals politische Brisanz. Denn das Papier betonte die Koexistenz der beiden deutschen Staaten, die – so die Annahme der Diskutanten – für eine lange Zeit andauern werde.
Sabrow konzentrierte sich in seinem Vortrag jedoch weniger auf den Inhalt des Papiers, sondern vielmehr auf dessen Wirkung für beiden Parteien, ging es doch von der Reformfähigkeit der jeweiligen Systeme aus. Gegen Ende des Dokuments hieß es: »Die offene Diskussion über den Wettbewerb der Systeme, ihre Erfolge und Mißerfolge, Vorzüge und Nachteile, muß innerhalb jedes Systems möglich sein.« Hiermit war ein Einfallstor für Meinungs- und Diskussionsfreiheit innerhalb der DDR gegeben, das auch genutzt wurde: Das Papier wurde landauf und landab nicht nur unter Dissidenten und Oppositionellen, sondern auch in den SED-Gliederungen diskutiert, bis dies vom Politbüro unterbunden wurde. Gleichwohl war das Dokument in der Welt und wurde bis 1989 noch mehrere Dutzend Mal im »ND« erwähnt.
Sabrow widersprach der unter anderem von Autoren des Papiers vertretenen These, wonach die SED-Führung durch den Rektor der »Gewi«-Akademie Otto Reinhold absichtlich überrumpelt worden sei. Honecker, so Sabrow, wusste genau, was er tat, als er dieses durchwinkte. Er hing der romantischen Idee einer gesamtdeutschen vereinten Arbeiterbewegung an. In Oskar Lafontaine sah er auf bundesdeutscher Seite einen Verbündeten, der durchaus die Chance gehabt hätte, deutscher Kanzler zu werden. Der SED-Generalsekretär glaubte, dass nach den nächsten Bundestagswahlen und dem vorgezogenen, für 1990 geplanten (aber aus bekannten Gründen nicht mehr stattgefundenen) XII. Parteitag der SED womöglich mit Honecker und Lafontaine, die befreundet und inhaltlich verbunden waren, zwei Saarländer an der Spitze der beiden deutschen Staaten gestanden hätten. Für eine dann mögliche verstärkte Kooperation war Honecker zu Zugeständnissen an die Sozialdemokratie bereit.
Doch auch die SPD ging mit dem Papier ein gewisses Risiko ein. Die CDU bezeichnete das Dokument wiederholt als Zeichen für die Aufwertung des Kommunismus – »Wandel durch Anbiederung«. Die Sozialdemokraten waren mal wieder »vaterlandslose Gesellen«, die die deutsche Einheit torpedieren würden.
Für Sabrow ist das Papier in erster Linie ein Zeichen für den Willen zum Meinungsaustausch. Für heutige Debatten, insbesondere zwischen Linkspartei und SPD, könnte man sich diesen Willen nur wünschen.
Ein Blick in das Dokument lohnt sich noch immer. Die Probleme von damals sind weiterhin aktuell: Bedrohung durch Atomwaffen, ökologische Probleme und friedliche Konfliktlösungen statt Krieg.