Sharing, Stupid!

Rezension zu Daum, C.: Das Kapital sind wir. Zur Kritik der digitalen Ökonomie

Erschienen in Der Freitag 41/2017

Was würde Karl Marx zu Facebook undTwitter sagen? Timo Daum schafft es in seiner Publikation Das Kapital sind wir. Zur Kritik der digitalen Ökonomie, diese Ausgangsfrage nicht nur als Phrase vor sich herzutragen, sondern etwas Neues und Spannendes zu den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen beizusteuern, er bereichert mit seiner Monografie den linken Diskurs um Digitalisierung.

Was Daum dabei auszeichnet, ist die Tatsache, dass er Digitalisierung nicht als unabhängige Entwicklung begreift, sondern den engen Zusammenhang mit der Verwertungslogik des Kapitals beschreibt. Er spricht von einem neuen Akkumulationsregime des Kapitals, das sich dadurch auszeichnet, dass im digitalen Kapitalismus Algorithmen zur wichtigsten Maschine, Daten zum essenziellen Rohstoff und Informationen zur eigentlichen Ware Nummer eins werden. Ziel des aktuellen Kapitalismus ist nicht mehr die fabrikmäßige Herstellung von Waren und deren Verkauf, sondern die Organisation des Zugangs zu Wissen und Information selbst. Der digitale Kapitalismus beutet somit immer weniger lebendige Arbeitskraft direkt aus. Stattdessen halten wir, die User, ihn mit unserer Aktivität auf den digitalen Plattformen am Leben. Aus den Informationen, die wir alltäglich ins Netz stellen, wird Geld gemacht: Google zum Beispiel stellt selbst nichts her (höchstens die Brille), sondern vermittelt nur. Die Mehrwertproduktion läuft nicht wie im klassischen Kapitalismus über (Massen-)Produktion, sondern über die Verwertung von Daten und Informationen.

Der studierte Physiker Daum grenzt sich damit bewusst von sämtlichen Krisenerklärungen ab, wonach der Kapitalismus kurz vor seinem Ende sei. Im Gegenteil. Er verschluckt sich keineswegs an diesem tückischen Ding Information und der Tendenz zu null Grenzkosten bei dessen Verbreitung. Der aktuelle Kapitalismus transformiert sich und ist erfolgreich dabei. Wie er sich nahezu täglich neu erfindet, transformiert gleichzeitig auch unsere Art zu arbeiten, zu denken und zu fühlen. Die digitale Boheme, Solo-Kapitalisten, treten an die Stelle des Proletariats. Er schafft es, die Ambivalenz dieses Prozesses darzustellen. Denn auch in der Sharing-Ökonomie des digitalen Kapitalismus steht trotz des Versprechens der Teilhabe aller immer noch nicht die Bedürfnisbefriedigung der Menschen im Zentrum. Die angebliche Autonomie ist Schein. Zwar ermöglicht die digitale Vernetzung einen freien Austausch, jedoch werden gleichzeitig soziale Beziehungen ausgebeutet. Auch bei den scheinbar demokratisch organisierten Plattformökonomien bleibt das Streben nach Profit zentral, wie Daum, der über zwei Jahrzehnte Berufserfahrung in der IT-Branche verfügt, überzeugend darlegt.

Viel Marx, null Nostalgie

Und immer wieder geht es zurück zur Ausgangsfrage und darum, Marx’sche Thesen ohne Nostalgie einzufügen. Der Autor kann überzeugend darlegen, dass dieser Klassiker der Kritik der politischen Ökonomie noch etwas zu sagen hat und man mit Marx im Hinterkopf den aktuellen digitalen Kapitalismus besser verstehen kann. Marx wäre sicher begeistert von den kommunikativen und demokratischen Möglichkeiten von Facebookund Twitter: Menschen können unabhängig von Geschlecht, Ethnie und Alter über Ländergrenzen hinweg diskutieren und Meinungen ungefiltert austauschen. Gleichzeitig würde Marx sicher auch die Einbindung solcher Firmen in den kapitalistischen Verwertungsprozess benennen und beklagen. Diese Ambivalenz zu benennen und eine schlüssige Verbindung zwischen Kapitalismus und Digitalisierung aufzuzeigen, ist sicher eine der größten Stärken des Buches. Dass es dabei ein dezidiert aktionistisches Buch ist, das sich klar links verortet, behindert die analytische Schärfe in keiner Weise.

(Beitragsfoto: http://www.edition-nautilus.de)