Iranische Regierung unter Druck

Der Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini könnte eine neue feministische Welle im Iran lostreten.
Erschienen in nd.aktuell vom 21.09.2022

Im Iran gibt es derzeit massive Proteste. Vor allem in den kurdischen Gebieten des Landes gehen zahllose Menschen auf die Straße, um gegen gegen den Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini zu protestieren, die drei Tage nach ihrer Verhaftung durch die Sittenpolizei verstorben ist. Sie soll von der iranischen Polizei in Teheran zu Tode geprügelt worden sein. Gegen die Proteste geht das iranische Regime nun mit massiver Gewalt vor. Einige Quellen sprechen von bisher 50 Toten. Bilder und Videoaufnahmen, die derzeit durch die sozialen Medien kursieren, zeugen von der Gewalt des Staates. Sicherheitskräfte nahmen zahlreiche Demonstranten fest, wie die iranischen Nachrichtenagenturen Isna und Fars berichteten. Seit einer Woche gehen im islamistisch regierten Iran Hunderttausende Menschen auf die Straße.

Mahsa Amini war mit ihrem Bruder zu Besuch in Teheran, als sie vor einer U-Bahn-Station verhaftet wurde, weil sie sich angeblich nicht an die strengen Hijab-Vorschriften des Landes hielt. Ihre Familie dementierte die staatlichen Berichte, wonach sie an Epilepsie litt und daran starb. Ihr Leichnam wurde nach Saqqez in ihre Heimatprovinz Kurdistan im Nordwesten des Irans überführt, wo sie am Samstag begraben wurde. Die Polizei versuchte, die Zahl der Teilnehmer*innen an der Beerdigung zu beschränken, doch kamen rund 1.000 Menschen. Vor dem Büro des Gouverneurs von Saqqez wurde laut kurdischen Menschenrechtsgruppen Pfefferspray gegen die Demonstrierenden eingesetzt, 30 Menschen wurden verletzt. Bei den landesweiten Protesten war auch der Slogan der kurdischen Freiheitsbewegung »Jin, Jiyan, Azadi« (Frauen, Leben, Freiheit) zu hören. Frauen nahmen ihr Kopftuch ab und riefen »Tod dem Diktator«. Gemeint war der konservative Präsident des Landes Ebrahim Raisi. Andere Frauen schnitten sich als Protest gegen die konservativen Geschlechterrollen vor laufender Kamera die Haare ab und stellten die Videos ins Internet. Für all diese Aktionen können die Frauen festgenommen, gefoltert und getötet werden. Seit der islamischen Revolution von 1979 werden Frauen im Iran systematisch unterdrückt.

Polizei und Regierung sind jedoch nun in Erklärungsnot geraten, Parlamentarier fordern Aufklörung über die Methoden der Sittenpolizei. Das UN-Menschenrechtsbüro kritisierte die Umsetzung der Bekleidungsvorschriften für Frauen im Iran scharf und forderte eine unabhängige Untersuchung des Todes der 22-Jährigen. Alle diskriminierenden REchtsvorschriften zu weiblicher Bekleidung sollten aufgehoben werden. Ähnlich äußerte sich die Grünen-Politikerin Lamya Kaddor: »Der Iran muss seine repressive Politik gegenüber Frauen und Mädchen beenden.« Ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell erklärte, die Verantworlichen für Aminis Tod müssten zur Rechenschaft gezogen, die Grundrechte aller Menschen im Iran geschützt werden – auch die von Häftlingen

Auch die Reche der kurdischen Minderheit im Iran sind nicht geschützt: Sie darf zwar ihre eigene Sprache sprechen, erfährt jedoch sofort blutige Repression, sobald sie beginnt, sich als eigenes Volk zu definieren. Die kurdische Frage ist im Iran auch stets eine Klassenfrage, da Kurd*innen vom Regime absichtlich ökonomisch unterentwickelt gelassen werden. Hinzu kommt, dass der Großteil der kurdischen Gesellschaft im Iran aus Arbeiterinnen besteht.

Diese doppelte Unterdrückung von Mahsa Amini als Kurdin und als Frau erklärt die anhaltenden Proteste jedoch nur teilweise. Hinzu kommt die völlige Ignoranz der iranischen Behörden, die mit allen Mitteln versuchen, die Verantwortung für den Tod zu leugnen. So behauptete das Innenministerium nun, Mahsa Amini sei aufgrund einer Herzerkrankung zusammengebrochen, doch Bilder aus dem Krankenhaus deuten eindeutig auf Schläge hin. Ihre Familie hat nun gefordert, das gesamte Videomaterial der Verhaftung und aus dem Gefängnis zu veröffentlichen und nicht – wie bisher – nur Ausschnitte.

Im Iran wird nun heftig über die Verantwortung und die gewaltsamen Methoden der Sittenpolizei diskutiert. Nach Artikel 638 des islamischen Strafgesetzbuchs ist es Frauen verboten, sich ohne Hijab auf der Straße oder in der Öffentlichkeit zu zeigen. Die Sittenpolizei hat bislang das nahezu willkürliche Recht, Frauen auf dieser Grundlage ohne richterlichen Beschluss zu verhaften. Diese Willkür führte im Fall von Mahsa Amini zu einem staatlichen Femizid. Ihr Tod könnte jedoch zu einem historischer Moment für den Iran werden: vielleicht ist der aktuelle Aufstand der Beginn einer neuen Welle des Widerstands von Frauen und Kurd*innen gegen das islamistische Regime.