Leuchtendes Rot

Rezension zu: Jesús Cossío, Luis Rossell, Alfredo Villar: Der Leuchtende Pfad. Ausdem Spanischen von Katharina Maly. Bahoe Books, Wien 2018. 200
Seiten, 22 Euro. Erschienen in: Iz3W 372.

Die Verbrechen Mao Tse-Tungs sind 50 Jahre nach der Kulturrevolution umfassend bekannt. Auch der Genozid der Khmer Rouge in Kambodscha wurde weltweit diskutiert. Ein weiterer Genozid, der ebenfalls von einer angeblich kommunistischen Befreiungsbewegung verübt wurde, hat hingegen noch nicht den Weg ins kollektive Gedächtnis gefunden. Die nun auf deutsch erschienene Graphic Novel Der Leuchtende Pfad versucht bildgewaltig und ausdrucksstark, dies zu verändern. Der Band rekonstruiert die politische Gewalt in Peru zwischen 1980 und 1990 anhand der Ergebnisse der 2001 eingesetzten Kommission für Wahrheit und Versöhnung.
Am 17. Mai 1980 verbrannte die maoistische Gruppe Sendero Luminoso (Der Leuchtende Pfad) die Wahlurnen in der peruanischen Region Ayacucho. Damit begann eine Phase des bewaffneten Kampfes, mit dem Ziel des kommunistischen Umsturzes in Peru. In den folgenden Jahren wurden fast 70.000 Menschen entführt, gefoltert und ermordet. Zu Beginn suchte der Leuchtende Pfad die Unterstützung der armen und indigenen Bevölkerung in den Andenregionen. Doch schon bald sahen sich die meist in der Landwirtschaft tätigen Menschen gezwungen, der revolutionären Armee beizutreten. Die Guerilla ließ nur eine Wahl: für oder gegen den Volkskrieg. Was mit jenen passierte, die sich gegen die roten Rebellen stellten, zeigte das Massaker von Lucanamarca vom 3. April 1983. Dort wurden etwa 70 Personen ermordet, darunter viele Kinder. Angeblich waren sie KollaborateurInnen, das Massaker galt als Akt der »Volksjustiz«. Abimael Guzmán, der von seinen AnhängerInnen als Messias verehrte Anführer des Leuchtenden Pfades, gab zwar vor, für die Ausgebeuteten zu kämpfen, doch er hatte keine Skrupel, sie zu missbrauchen und auszuschließen, sobald sie sich seinem Diktat
widersetzen. Das Massaker markierte den Wandel von einer Guerilla- zur Terrororganisation. Die enorme Brutalität der RebellInnen, die oft ganze Dörfer im Zuge von Vergeltungsmaßnahmen massakrierten, führte dazu, dass die Guerillas zunehmend die Unterstützung der Bevölkerung verloren.
Doch auch von staatlicher Seite gab es grausame Menschenrechtsverletzungen, auf die der Band eingeht. Ab Mitte der 1980er Jahre verfolgten die staatlichen Repressionsorgane eine Strategie der verbrannten Erde. In Soccos ermordete die Polizei nach einer Verlobungsfeier 32 Erwachsene und sieben Kinder, darunter sogar Babys. Die verantwortlichen Beamten wurden zwar zu Gefängnisstrafen verurteilt, kamen aber bald wieder frei.
In der Hauptstadt Lima wurden die Gewaltexzesse lange ignoriert.
Die herablassende und distanzierte Haltung gegenüber der bäuerlichen und andinen Bevölkerung gründete sich im Klassismus und Rassismus gegenüber den Armen und den Indigenen. Drei Viertel
der Opfer stammten aus der quechuasprachigen Landbevölkerung.
Daher wurden die Ereignisse in der peruanischen Geschichte wenig
thematisiert – von der internationalen Ebene ganz zu schweigen.
Die Grausamkeit des Leuchtenden Pfades und der Regierungstruppen wird in der Graphic Novel schonungslos dargestellt. Sowohl
die Hammer-und-Sichel-Fahnen der Maoisten als auch das Rot der
peruanischen Nationalflagge werden im ansonsten schwarz-weiß
gehaltenen Comic farbig gezeigt, da sie beide ein drittes Rot
symbolisieren, von dem es im Band reichlich gibt: Blut. Vergewaltigungen, Erschießungen und Folterungen finden in den Zeichnungen realistischen Ausdruck. Ergänzt werden sie durch Originalbilder, die die Comicbilder brechen und in die Realität zurückholen. Kurze Texte zur jeweiligen Episode beleuchten einführend die Hintergründe – für das europäische Publikum sicher hilfreich.
Nach dem Anschauen des Bandes ist man erschöpft. Zum einen ist das der dargestellten Gewalt geschuldet, zum anderen der Form: Die Beschriftung der Bilder ist häufig sehr klein. Am Ende bleiben Fragen: Woher kam die unbeschreibliche Brutalität des Bürgerkrieges? Wieso konnte sich der Leuchtende Pfad trotz seiner Gräuel zehn Jahre halten und sogar sein Gebiet ausbauen? Wieso konnten staatliche Akteure im rechtsfreien Raum handeln? Abschließend beantwortet der Band diese Fragen nicht, doch es ist gut, dass er sie stellt und damit einen Blick auf eine Geschichte ermöglicht, der davor verstellt war. Allein dafür lohnt die Lektüre.