Katern für den Kommunismus

Erschienen bei Supernova

Diesen Text werden wohl viele von euch in der Waagerechten lesen. Entweder liegt ihr auf der Couch mit dem Laptop auf dem Schoß oder ihr krümelt mit kleinen Augen im Bett und lest den Artikel auf dem Smartphone – der Kater von der Silvester-Party muss kuriert werden. Erst einmal sind solche Augenblicke des Nicht-Funktionierens nur genau dies: Momente der Ruhe und des Faulenzen. Doch daraus kann ein subversiver Akt werden.

Im Kapitalismus geht es darum, seine Arbeitskraft zu verkaufen. Täglich sollen wir frisch am Arbeitsplatz, in der Schule oder der Universität auftauchen und unser Bestes geben. Wer jedoch mit Kater im Büro aufschlägt oder die Vorlesung verschläft, handelt gegen diese kapitalistischen Normen. Man schadet seinem ›Humankapital‹ und ruiniert ›seinen Preis‹ auf dem Markt. Für die Gesellschaft mit ihren unablässigen Kommunikations-, Produktions-, und Konsumhandlungen, wird Ausruhen lediglich als Verschwendung betrachtet. Arbeit ist alles, Erholung ist nichts. Bereits der Alte aus Trier, Karl Marx, hat dies beschrieben. Bei ihm heißt es: »Die Verlängerung des Arbeitstages in die Nacht hinein (…) stillt nur annähernd den Vampyrdurst nach lebendigem Arbeitsblut.« Keine Ruhe, nirgends. Schlaf und Erholung sollen auf ein Minimum reduziert werden.

Ein Leben ohne Lohnarbeit ist kaum vorstellbar

Gegen solche Auswüchse von Nacht- und Kinderarbeit, von 12-Stunden-Tagen, wie sie im 19. Jahrhundert eher die Regel als die Ausnahme waren, stellte die Linke nicht ihre Ablehnung der Lohnarbeit entgegen. Gewerkschaften und Sozialdemokrat*innen forderten stattdessen ›Gute Arbeit‹. Sie wollten und wollen gerechte Löhne und ergreifen Partei für die ›hart arbeitende Bevölkerung‹. Ein Leben ohne Lohnarbeit ist kaum vorstellbar, es gilt gar als würde- und wertlos.

Müßiggang war in den ›sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaaten‹ konterrevolutionär und auch der aktuelle Kapitalismus ist geprägt von einer dauerhaften Geschäftigkeit, die keine Ruhe kennt. Das moderne Machtregime schläft nicht: Kontrollpunkte, Überwachungskameras, Polizei, Sicherheitsbeamte, arbeiten 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche – ohne Unterbrechung.

Die Ächtung der Faulheit ist weit verbreitet

Nur wenige Denker sahen die Ruhe, die Pause und das Faulenzen positiv. Die Ächtung der Faulheit ist weit verbreitet. Marx stritt sich mit seinem Schwiegersohn Paul Lafargue, der in seinem Buch »Das Recht auf Faulheit« den Arbeitsfetisch der Arbeiter*innenbewegung kritisierte. Der US-amerikanische Schriftsteller Mark Twain fand: »Ich mag die Arbeit nicht einmal dann, wenn andere sie verrichten.« Das Lob des Müßiggangs stimmen Philosoph*innen oder Politiker*innen jedoch nur selten an. Dass der vernunftbegabte Mensch eines Zustands wie dem Schlaf bedarf, in dem er sich ganz hin- und aufgibt, scheint ihnen auch mehr Beleidigung, denn Anlass zu Beifall.

Aber Menschen verschlafen rund ein Drittel ihres Lebens. Manche würde es nicht stören, falls es noch mehr wäre. Das Leben außerhalb des Bettes ist schließlich so unfassbar anstrengend. An manchen Tagen denkt man gar: Ich bleibe einfach für immer hier liegen. Und das ist auch gut so. In solchen Momenten des Faulenzen kann die Loyalität gegenüber der bürgerlichen Ordnung abgebaut und aufgeweicht werden. In diesen Augenblicken der Lethargie gibt es kein »Höher, Schneller, Weiter«, sondern wir sind einfach nur da. Im Moment. Im Hier und Jetzt.

Ruhe und Entspannung sind Vorraussetzung für den Ausstieg aus dem kapitalistischen Hamsterrad

Gerade aus diesem Zustand der Passivität kann auch etwas emanzipatorisches entstehen. Ruhe und Entspannung sind die Voraussetzung für den Ausstieg aus dem kapitalistischen Hamsterrad. Einfach liegen bleiben und nicht mehr mitspielen. Im Müßiggang kann geprobt werden, was Herbert Marcuse als ›Verweigerung‹ bezeichnet hat. Bei dieser Geschäftslosigkeit geht es nicht um die Organisierung der Langeweile, sondern um Tätigkeiten, die der Ökonomisierung entrissen werden, sprich: das Aussteigen aus dem kapitalistischen System. Solche Momente können für das revolutionäre Erwachen von Einzelnen oder Kollektiven hilfreich sein. Der Müßiggang ermöglicht es uns, die herrschenden Kategorien zu hinterfragen. Warum tue ich, was ich tue und könnte es nicht auch alles ganz anders sein?

Wer jedoch meint, diese Formen der Kreativität mit dem viel gelobten »Power Nap« erreichen zu können, irrt. Dieser dient lediglich dazu, dass wir uns danach wieder (besser) verwerten können.Was es braucht ist ein Dahindämmern. Im Sommer selbstvergessen im Schatten eines Baumes oder nach Silvester während des völlig zwecklosen Lümmelns auf der Couch.

Während des Schlafs ist man nutzlos für den Staat

Bei Platon heißt es, dass die Menschen während des Schlafs außerhalb jeglicher Bindung zum logos (Vernunft) sind, sie seien nutzlos für den Staat und zugleich nicht regierbar. »Spitze«, möchte man dem alten Griechen zurufen. Alles, was Revolutionäre begehren! Die Zeit, die wir gewinnen, wenn wir nicht aufstehen, nicht arbeiten und nicht mitspielen, ist die eines intensiv genossenen Lebens in kreativer Arbeitscheue und Desinteresse an allen Ersatzbefriedigungen der Warenangebote. »Das Einschlafen«, meinte Walter Benjamin, »ist vielleicht das einzige, was uns geblieben ist« und ergänzte: »Aber damit auch das Erwachen.« Frohes neues Jahr!