Am Ende ist es eine Machtfrage

Ein Interview mit Oliver Suchy, Leiter der Abteilung »Digitale Arbeitswelten und Arbeitsweltberichterstattung« beim DGB-Bundesvorstand über uneingelöste Versprechen der Digitalisierung und den Klassenkampf 4.0
Erschienen in Neues Deutschland vom 13.12.2018

Digitalisierung bedeutet für viele Beschäftigte in den Büros, den Fabrik- und Lagerhallen mehr Stress und weniger Lohn. Wie steht es um die Kräfteverhältnisse unter digitalen Vorzeichen?

Mit Blick auf den Status Quo wird deutlich: Die politischen Versprechen der Digitalisierung haben sich bislang nicht erfüllt. Mehr Freiheit oder mehr Flexibilität gibt es für die meisten Beschäftigten bislang noch nicht. Probleme, die wir schon lange haben, verschärfen sich hingegen: Stress, Arbeitsverdichtung und Entgrenzung.

Droht die Verhandlungsmacht von Beschäftigten somit zu schwinden?

Das ist immer eine Frage von Tarifbindung, Mitbestimmung und Arbeitnehmerrechten. Hier brauchen wir ein Update. Seit mehreren Jahren diskutieren wir über ›Arbeit 4.0‹. Das ist wichtig, hat aber politisch leider kaum konkreten Fortschritt gebracht. Alle Seiten sind sich zum Beispiel einig, dass Qualifizierung und Weiterbildung die Schlüsselthemen sind, doch politisch passiert ist bisher zu wenig. Ein Recht auf berufliche Weiterbildung mit der entsprechenden Unterstützung für ausreichend Zeit und Geld wäre solch ein konkretes Angebot, das vielen Menschen Sorgen nehmen würde.

Auf der anderen Seite gibt es ja auch Debatten um größere Flexibilität und mehr Selbstbestimmung.

Natürlich kann und soll Digitalisierung die Arbeitsbedingungen verbessern. Die Möglichkeiten sind da, sie müssen aber auch genutzt werden. Die jüngsten, sehr innovativen Tarifverträge, etwa von der IG Metall oder bei der Bahn, gehen in diese Richtung.

Wie müssen sich auch die Gewerkschaften unter den aktuellen Bedingungen verändern?

Wir tun dies ja bereits und diskutieren zum Beispiel die Zukunft der Mitbestimmung. Das gilt vor allem für KI: Gerade hier muss gemeinsam definiert werden, zu welchem Zweck man Systeme einsetzen will, die sich am Ende selbst optimieren. Bei den vielzähligen Formen der Plattformarbeit schauen wir genau hin, was dort eigentlich für Beschäftigungsverhältnisse vorherrschen und wie diese zu regeln sind. Da sind wir dabei, neue Formen der Organisierung und Ansprache der Mitglieder zu entwickeln. Schwierig ist dies bei den Click- und Crowdworkern. Aber auch hier sind die Gewerkschaften digital längst aktiv und die Hans-Böckler-Stiftung forscht intensiv dazu.

Aber gerade in diesem Bereich gibt es ja bereits Arbeitskämpfe.

Aber es ist ungleich schwieriger, die Beschäftigten dort zu organisieren, wo sie abgekapselt arbeiten und es nicht einmal einen gemeinsamen Ort gibt.

Die Beschäftigen bei Deliveroo oder Foodora haben sich in der Zwischenzeit von unten selbst organisiert – mit Hilfe der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft FAU.

Auch ver.di oder die NGG sind da sehr aktiv.

Welche politischen Eingriffe braucht es, um die Machtbalance zwischen Arbeit und Kapital auch im digitalen Zeitalter sicherzustellen?

Die Politik handelt derzeit zu halbherzig. Es geht schließlich um einen grundlegenden Transformationsprozess, der vielen Menschen Sorgen bereitet. Dafür braucht es kein »Narrativ«, sondern einen handfesten Zukunftsplan mit konkreten Angeboten für den Wandel – also für mehr Arbeitszeitsouveränität, bessere berufliche Entwicklungschancen und mehr Mitbestimmung für die wichtigen Aushandlungsprozesse im Betrieb. Wir brauchen dafür einen vernetzten Politikansatz, denn die Dinge hängen ja miteinander zusammen.

Die Digitalisierung bietet den Anlass, die großen Fragen in der Ökonomie neu zu stellen.

Ja, die Digitalisierung verändert Wirtschaft und Wertschöpfung grundlegend. Nehmen wir die Entwicklung von KI und digitalen Netzwerken. Die digitalen Assistenten von Google oder Amazon greifen in die Wertschöpfung ein, wenn sie entscheiden, wo es zum Bespiel ‚guten Kaffee‘ gibt oder bei wem ein Produkt bestellt wird. Es geht nicht um die Macht der Daten, sondern um die Macht derjenigen, die die Daten besitzen.

Technologie ist nicht per se gut oder schlecht. Die Frage ist, zu welchem Zweck sie eingesetzt wird.

Genau. Es ist Unsinn, vom Gegensatz ›Maschine gegen Mensch‹ zu sprechen. Es geht vor allem bei KI darum, wer über die Ziele von selbstlernenden Maschinen bestimmt. Es geht um Optimierung, doch das kann sehr unterschiedlich aussehen. Wir wollen die Arbeitsbedingungen erleichtern. Ohne Verhandlungen auf Augenhöhe kann es aber auch zur marktgetriebenen Leistungssteuerung, Fremdbestimmung und Auslese der Beschäftigten führen. Dies zu entscheiden, ist am Ende jedoch eine Machtfrage.

Also Klassenkampf 4.0?

Wir sind beim Einsatz von KI im Betrieb noch relativ am Anfang. Und es sollte auch im Interesse der Unternehmen sein, dass KI nicht hinter dem Rücken der Beschäftigten eingesetzt wird. Sonst wird es die nötige Akzeptanz nicht geben. Die entscheidende Frage ist, wo Zielkonflikte liegen und dass wir diese gemeinsam lösen. Das gilt vor allem für die Nutzung von persönlichen Daten im Betrieb.

Vielen Dank.