Genug ist nicht genug: Luxus der drogeninduzierten Freiräume

Erschienen in Transform. Magazin für das Gute Leben. Nr. 5.

“Die Manifestation des Kapitalismus in unseren Leben ist die Traurigkeit“ singt die Band Ja, Panik. Und sie hat recht. Der Kapitalismus ist nicht nur ein auf Ausbeutung beruhendes Wirtschaftssystem (was schon schlimm genug wäre), sondern auch ein Gesellschaftssystem, das auf unsere Emotionen und unseren Alltag übergreift. Wie wir mit dieser Traurigkeit umgehen, ist dabei ganz unterschiedlich. Die einen analysieren die Situation, die anderen kämpfen dagegen an, die klügsten machen beides zusammen. Wieder andere resignieren, passen sich an oder versuchen, im Bestehenden Freiräume zu erkämpfen. Sei es das Hausprojekt oder, ja: auch Drogen.

Der Luxus des Drogenkonsums besteht im (kurzfristigen) Ausbrechen aus den Verhältnissen. Seien sie noch so fragil, vorübergehend und auf Sand gebaut, aber die Welten, die in guter Gesellschaft unter dem Einfluss von Drogen entstehen, können einen Vorgeschmack darauf bieten, wie das Gute Leben sein könnte: leicht, euphorisch und sorgend um andere, Möglichkeiten und Erfahrungen ausschöpfend. Das nicht Denkbare wird denkbar und es wird Raum geschaffen für Utopien im Wortsinne: dem Nicht-Ort.

Ist Drogenkonsum nun ein widerständiger Akt? Wer auf MDMA kuschelt oder nach der dritten Ecstasy-Pille am Montag Mittag immer noch weiter tanzen will, wird sich wenig Gedanken über die Traurigkeit im Kapitalismus oder gar seine Aufebung machen, schon klar. Und doch entstehen in diesen Momenten des Rausches, der neuen und unerwarteten Erfahrungen und Begegnungen, Räume, die uns helfen können, die bestehende Gesellschaft zu hinterfragen und vielleicht sogar abzuschaffen.

Im Kapitalismus geht es darum, seine Arbeitskraft zu Markte zu tragen und sie zu verkaufen. Tag für Tag wird geschufet und den Profit streichen andere ein – bitter. Täglich sollen wir frisch am Arbeitsplatz, in der Schule oder der Universität aufauchen und unser Bestes geben, ob wir nun wollen oder nicht – auch bitter. Alles, was diesen Ablauf behindert, ist laut herrschender Meinung schlecht. Wer mit Kater im Büro aufschlägt oder bekifft in der Vorlesung sitzt, handelt gegen diese kapitalistischen Normen. Man schadet durch Drogenkonsum seinem „Humankapital“ und ruiniert „seinen Preis“ auf dem Markt.

Konsum kann ein subversiver Akt sein, durch den die Loyalität gegenüber der bürgerlichen Ordnung hinterfragt und im besten Fall aufgeweicht wird. Für einen kurzen Moment des Rausches geben wir unser Streben auf, sondern sind einfach nur da. Im Moment. In „Kapitulation (Manifest)“ singt Dirk von Lowtzow: „Wenn wir am Boden sind, werden wir einfach liegen bleiben. Das wird unserer größter Trost sein. (…) Wir werden im Besitz der magischen Formel sein: Fuck. It. All.“ Das ist unter gegenwärtigen Bedingungen der größte Luxus. Fuck it all. Nicht mehr im Hamsterrad mitlaufen, sich verweigern – und sei es nur für wenige Stunden.

Und doch wird dieser Luxus nicht genügen, um dauerhaft eine gute, andere Welt zu bauen. Wer Drogen nimmt und sich dabei nicht genügt, sondern auch weiter analysiert und tätig ist, hat es verstanden. Damit wird der Nicht-Ort des Drogenkonsums zu einem Noch-Nicht-Ort des guten Lebens und der Fokus auf Handlungsfähigkeit hergestellt. Der Luxus der drogeninduzierten Freiräume darf kein Rückzug auf sich selbst sein, sondern muss dafür genutzt werden, umso unerbittlicher das Falsche in der falschen Gesellschaft zu sehen und gegen sie vorzugehen. Es gilt, eine Welt zu bauen, in der Freiräume im alltäglichen Leben vorhanden sind und nicht erst durch Drogen geschaffen werden müssen. Aber wer sie dann immer noch nehmen will, soll dies tun: Und der Kater wird auch nicht mehr so schlimm sein, wenn man nicht mehr immer Montags um 9:00 Uhr auf der Arbeit sein muss.