Ich glaub, es hackst

Ronald Weber erzählt das Leben des Dramaturgen Peter Hacks. Der verteidigte zuerst das klassische Theater, später nur noch die DDR
Erschienen in Der Freitag 36/2018

Wie steht es um Peter Hacks? Viele kennen den Autor lediglich über seine Kinderbücher und Dramen. Die Experten im Umfeld der Peter-Hacks-Gesellschaft streiten sich seit seinem Tod 2003, wie er richtig zu lesen sei. So oder so mag die aktuelle Biografie des Junge-Welt-Redakteurs Ronald Weber helfen: Auf rund 600 Seiten gibt sie Einblick in das Universum des Dramatikers, Lyrikers und Essayisten Hacks, der in der DDR versuchte, sein Projekt einer neuen sozialistischen Klassik zu begründen.

Auf dem Coverfoto wirkt der 1928 in Breslau geborene und 1955 von München nach Ost-Berlin migrierte Hacks ein wenig spitzbübisch. Vielleicht mag er ähnlich geblickt haben, als er 1952 einen Rat Brechts, den er damals als seinen „Papst“ verehrte, nicht befolgt hatte. Brecht hatte auf die Frage, ob Hacks in die DDR kommen sollte, skeptisch geantwortet: „Gute Leute sind überall gut.“ Der 23-Jährige reagierte auf den Rat: „Ich glaube nicht, dass die Ereignisse mir gestatten werden, ihn zu befolgen.“ Hacks geht in die DDR.

Bereits 1956 stirbt der verehrte Brecht. Zum Berliner Ensemble wird Hacks kaum mehr Kontakt haben. Er geht eigene Wege. Es folgt eine enge Freundschaft zu Heinar Kipphardt am Deutschen Theater, das zu Hacks’ Stammbühne wird. Auch mit dem Intendanten Wolfgang Langhoff versteht sich Hacks prächtig. Mehrere seiner Stücke werden am DT aufgeführt – bis er 1962 wegen seines Stücks Die Sorgen und die Macht den Dramturgenposten aufgeben muss und seine Stücke in der DDR mit Aufführungsverbot belegt wurden.

Ronald Weber bietet in seiner umfangreichen Schrift zahlreiche biografische Fakten aus Briefwechseln, Archivmaterial und Gesprächen des Autors. Er beschreibt die Inszenierungen seiner gut 40 Stücke, auch seine Lieder, Gedichte, Essays und Kinderstücke. Es geht um die Arbeit mit Brecht, Benno Besson, um Freundschaften, die ein Leben lang hielten wie mit André Müller oder Wolfgang Kohlhaase, und Freundschaften, die Hacks kündigte, wie mit Heiner Müller oder Hartmut Lange.

Lieber rot als tot

Mit seinem Fokus auf die Klassik – die Hinwendung zum sozialistischen Aufbaudrama bleibt Episode – nimmt Hacks innerhalb der DDR-Literatur eine Sonderrolle ein. Seine Stoffe bezog er aus den Vergangenheiten der Antike und des Mittelalters, er schmiedete Verse von unerreichter Erhabenheit und wurde damit zu einem der sprachmächtigsten Dichter des 20. Jahrhunderts. Nach 1945 war alles, was Deutsch war, dreckig und blutig. Wollte man weitermachen, musste man entweder wie Arno Schmidt sprachlich komplett neu anfangen oder eben wie Hacks tief in der Geschichte graben. Neben Brecht treten verstärkt Schiller und Shakespeare, aber vor allem Goethe und Hegel. Die Klassik ist für Hacks Vernunft und Übersicht, ein hoher Standort über den Parteiungen und dialektisches Denken.

Daneben bekennt sich Hacks bedingungslos zum Sozialismus. Ein Leben jenseits der DDR? „Da fällt mir keine Alternative ein als tot sein.“ Gleichwohl steht er häufig mit der offiziellen Kulturpolitik des sozialistischen Staates über Kreuz. Den Kampf gegen den romantischen Verfall der Gesellschaft und Kunst, der für Hacks mit dem Tod Ulbrichts eingeläutet wird (der Freitag 29/18), führt er mittels des Dramas weiter – Pläne für eine eigene Bühne in Berlin werden jedoch nicht realisiert. Auch politisch mischt er sich ein. 1976 begrüßte er die Ausbürgerung des „Konterrevolutionärs“ und „überschätzten Kleinkünstlers“ Wolf Biermann. Nachdem die frühen Siebziger eine lange Reihe von Hacks-Inzenierungen in Ost und West erlebten, wurde er nach der Biermann-Kritik im Westen abgesetzt – er war ohnehin davon ausgegangen, dort nicht wirklich verstanden zu werden.

Doch auch im Osten führt die Unerbittlichkeit seiner Theaterarbeit zu zunehmender Isolierung. An seinem Verschwinden von den Bühne habe er aber, so Weber, zu einem Gutteil selbst gearbeitet. „Weil die Theater nicht mehr spielen, wie er will, will er nicht mehr gespielt werden.“ Als einer der meistgespielten deutschen Dramatiker in Ost und West, zumal mit seinem Welterfolg Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe, verschwindet Hacks nach und nach fast vollständig von den Bühnen. Im Westen bleibt er Dissident und im Osten Salon-Stalinist.

Die „Wende“ 1989/90 ist für Hacks eine Katastrophe, weil der Sozialismus an sich selbst gescheitert ist. Ohne Notwendigkeit hätten sich Honecker oder Gorbatschow, der „Organisator der Weltkonterrevolution“, dem Westen zugewandt und sozialistische Prinzipien aufgegeben: „Es muss ein höheres Wesen geben, das ihnen allen in die Hirne geschissen hat“, so Hacks. Die kapitalistische Realität verändert auch sein Schreiben. Positive Gesellschaftsvisionen verarbeitet er mehr und mehr in den weiter entfernten Sphären der Kinderbücher und Essays und immer weniger im Drama.

Ab Mitte der 90er Jahre wird die Dichtung zunehmend von der Agitation abgelöst. Er mischt sich mehr und mehr politisch ein – für die Sache des Sozialismus. Seine Treue zur DDR wird dabei auch von engen Freunden wie André Müller kritisiert. Für die einen bleibt Hacks einer der wenigen Getreuen, für die anderen ist er ein unerbittlicher Antagonismus, „wie ein lebender Geist“.

„Peter Hacks zu loben, ist riskant. Man kann sich blamieren, wenn man dem Gebirge auf die Schulter zu klopfen versucht“, meine jüngst der Schriftsteller Dietmar Dath. Weber begibt sich teilweise in diese Gefahr. Seine Schrift ist kenntnisreich und seinem Subjekt freundlich zugewandt; Widersprüche in Hacks’ Biografie werden nur schüchtern benannt.

Hacks war überzeugter Marxist-Leninist. Mit dieser Haltung ist heute kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Woran Weber mit Hacks jedoch erinnert, ist die Fähigkeit, eine Haltung auch gegen Widerstände nicht aufzugeben. Sicherlich ist der Ästhet Hacks nicht ohne den Stalinisten Hacks zu haben, aber jemand der, so Weber, „nicht aufhören kann zu hoffen, dass sich das Blatt noch wenden wird“, kann auch heutzutage ein Leitbild sein.