Moabit gegen Seehofer

Wegen Schirmherrschaft des Innenministers: »Moabit hilft« lehnt Nominierung für Nachbarschaftspreis ab
Erschienen in Neues Deutschland vom 30.07.2018

Das inoffizielle Motto des Berliner Ortsteils: Moabit ist beste. Mehr und mehr Kultur siedelt sich vor Ort an. Seit 2013 gibt es den Verein »Moabit hilft«. Der Verein, der ehrenamtlich Flüchtlinge in der Nachbarschaft betreut, wurde mehrfach ausgezeichnet. Eine weitere Auszeichnung wird erstmals nicht dazukommen. Dies liegt am Verein selbst.

»Moabit hilft« lehnt die eigene Nominierung für den Deutschen Nachbarschaftspreis ab. In einer Erklärung begründet der Verein die Absage der Nominierung. Dort heißt es: »Wir hatten uns sehr über die Nominierung zum Deutschen Nachbarschaftspreis 2018 gefreut. Denn es gibt uns das Gefühl, mit unserer Arbeit das Richtige zu tun, nicht alleine zu sein.« Allerdings habe man einen wichtigen Punkt übersehen und sei daher »mit dem jetzigen Wissen gezwungen, die Nominierung abzulehnen«.

Der wichtige Punkt: Der Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ist Schirmherr des Preises. Mit dessen Aussagen will sich »Moabit hilft« nicht gemein machen. Seehofer hatte unter anderem 2011 bei einer Aschermittwochsrede gesagt: »Wir werden uns gegen Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme wehren – bis zur letzten Patrone.« Ferner hat er 1987 erklärt: »HIV-Infizierte müssen in speziellen Heimen konzentriert werden.« All dies zitiert »Moabit hilft« in der Erklärung.

Auch gefalle es Seehofer, so »Moabit Hilft«, »von deutscher Leitkultur zu faseln«, und sich zynisch darüber zu amüsieren, »dass an seinem 69 Geburtstag 69 Afghanen abgeschoben wurden«. Die Meldung schließt mit den Worten: »Nein, wir wissen nicht, ob wir gewonnen hätten. Aber wir können es nicht mit uns oder unseren Ansichten vereinbaren, unter einem Schirm zu stehen, dessen Schirmherr der Innen- bzw. Heimatminister Seehofer ist. Nein zu Seehofer!«

Die Nebenan-Stiftung, die den Preis vergibt, bedauere den Schritt, respektiere aber die Entscheidung, sagte der Geschäftsführer der Stiftung, Michael Vollmann, dem Evangelischen Pressedienst. Die Stiftung wolle an einer inhaltlichen Zusammenarbeit mit dem Bundesinnenministerium festhalten. Doch auch Vollmann spricht davon, dass Seehofer zuletzt »verbal Grenzen überschritten« habe. Man hoffe trotzdem, dass er wie geplant an der Preisverleihung am 5. September teilnehme. Vorgesehen ist, dass dabei Preisträger aus dem vorigen Jahr kritische Fragen an den Minister richten.

Dass Seehofer Schirmherr ist, sahen auch andere nominierte Initiativen kritisch. Auch ein Verein aus Köln, das kostenfrei Lastenräder in der Stadt verleiht, hat seine Bewerbung zurückgezogen. Aus ihrer Sicht sei in letzter Zeit ein politischer Konsens aufgekündigt worden: »Das ist nicht unsere Form von Nachbarschaft. Wir wollen nicht, dass so eine Spaltung der Gesellschaft betrieben wird.«

Seehofer edauert nun, dass die beiden Initiativen ihre Nominierung wegen seiner Rolle als Schirmherr abgelehnt haben. »Wir haben als Bundesinnenministerium das mit Bedauern zur Kenntnis genommen«, sagte die Sprecherin des Bundesinnenministeriums am Montag in Berlin. »Beides sind sehr schätzenswerte Initiativen«

Mit dem Deutschen Nachbarschaftspreis werden Projekte geehrt, die sich vor Ort für mehr Integration und Inklusion, für die Bewältigung des demografischen Wandels und gegen Abwanderung aus dem ländlichen Raum einsetzen. »Moabit hilft« begleitet Asylsuchende unter anderem bei Behördengängen und Arztbesuchen, bietet Deutschunterricht an und hilft bei der Wohnungssuche. Darüber hinaus versteht sich der Verein als Lobby-Initiative und setzt sich auch mit politischen Aktionen für eine bessere Situation von Geflüchteten ein.

Der Deutsche Nachbarschaftspreis wurde 2017 ins Leben gerufen. Nominiert wurden – inklusive dem Berliner Verein – 104 Projekte aus allen Bundesländern, von denen drei Bundessieger und 13 Landessieger ausgezeichnet werden sollen. Vergeben wird zudem ein mit 5.000 Euro dotierter Publikumspreis. Der Nachbarschaftspreis ist mit insgesamt 50.000 Euro dotiert. Ob nach der Absage des Berliner Vereins eine andere Initiative nachnominiert wird, wird Vollmann zufolge noch diskutiert. Um den Preis hatten sich nach Angaben der Stiftung mehr als 1.000 Initiativen beworben. Mit Agenturen