»Etwas drumherum«

Personalie. Erschienen in Neues Deutschland vom 21.06.2018

Eine Unterschrift unter einem Vertrag gibt es noch nicht, aber sehr wahrscheinlich wird die Berliner Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) morgen den 46 Jahre alten Carlo Chatrian als neuen Berlinale-Chef vorstellen. Der Italiener soll nach Medienberichten Dieter Kosslick folgen.

Um dessen Nachfolge hatte es eine heftige Diskussion gegeben. In einem offenen Brief forderten prominente Regisseure einen kompletten Neustart für die Berlinale – sie müsse weiter mit den großen Film-Festivals Cannes und Venedig mithalten. Nach zahlreichen Gesprächen mit Produzent*innen, Schauspieler*innen und auch Beschäftigten der Berlinale ist die Entscheidung nun wohl gefallen.

Der in Turin geborene Chatrian ist seit 2012 künstlerischer Leiter des Filmfests von Locarno. Das Festival im schweizerischen Kanton Tessin findet seit 1946 statt. Sein bisheriges Schaffen ist facettenreich. Nach dem Studium der Literatur und Philosophie arbeitete er als Filmkritiker und erarbeitete sich dabei weltweit gute Kontakte zu Kolleg*innen. Ebenso war er Lehrbeauftragter beschäftigt und hat Bücher und Essays über den Regisseur Errol Morris und den Produzenten Wong Kar-Wai geschrieben. In Locarno sei es ihm gelungen, das Festival sowohl künstlerisch wertvoll als auch kommerziell erfolgreich zu gestalten.

Ob ihm das auch in Berlin gelingt, wird die große Frage sein. In einem Interview mit der »Zeit« hatte er noch letztes Jahr gesagt, die Berlinale sei »ein großartiges Festival mit viel Potenzial«, aber er sei für die Leitung ungeeignet, da er kein Deutsch spreche. Wie sein Kurs jedoch aussehen könnte, zeigt ein weiteres Zitat. Der »Neuen Zürcher Zeitung« sagte er noch als Locarno-Verantwortlicher: »Für mich stehen immer noch die Filme im Mittelpunkt, aber ich denke, heutzutage können Festivals nicht einfach nur Filme projizieren. Man muss etwas drumherum bieten.« Es bleibt abzuwarten, wie dieses Drumherum Deutschlands größtes Filmfestival prägen wird.

 

 

Foto: dpa/Gabriele Putzu