Die Gefühle der Digitalisierung

Die Digitalisierung betrifft alle Lebensbereiche. Besonders die Arbeitswelt steht durch Roboter, neue Technologien und künstliche Intelligenz vor fundamentalen Veränderungen. Dieser Wandel kann unterschiedliche Emotionen, Begeisterung oder Angst, auslösen. Diese Emotionen müssen ernst genommen werden. Es geht darum, die Ursachen aufzudecken und keine weiteren (irrationalen) Ängste zu schüren.

Erschienen in Rosa-Luxemburg-Stiftung vom 18.04.2018

Vor rund zwei Jahren wurde Facebook emotional. Neben dem klassischen Like kamen fünf weitere Reaktionsmöglichkeiten für Beiträge, Fotos oder Videos hinzu. Love, Haha, Wow, Traurig und Wütend. Ziel dieser Erweiterung war es, den Nutzerinnen und Nutzern mehr Möglichkeiten zu geben, auf Beiträge zu reagieren – wer regiert schon gern auf einen Trauerfall mit meinem Gefällt mir. Die Emotionen, die wir auf Facebook verbreiten, bleiben jedoch im Kategoriensystem der sechs Emojis verortet, wir äußern uns in dem Rahmen, den Facebook uns vorgegeben hat. Anschaulich wird hier, welch direkten Einfluss das Social-Media-Unternehmen auf den Ausdruck unserer Gefühlswelt hat. Die digitale Welt und unsere Emotionen stehen in einem engen Verhältnis zueinander.

Die Gesellschaftlichkeit der Digitalisierung

Was wir aktuell beobachten können, ist eine neue Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens und des Arbeitens, die allgemein unter dem Begriff der Digitalisierung gefasst wird. Technisch werden hierunter Informationsprozesse verstanden, die mittels digitaler Speicher-, Übertragungs- und Verarbeitungstechnik verbessert werden sollen. Mit Hilfe innovativer Hard- und Software soll dies immer öfter, besser und schneller möglich sein. Neben dieser technischen Seite ist in die DNA der Digitalisierung aber auch ein genuin gesellschaftlicher Prozess eingeflochten. Dabei geht es um die Orientierung der Individuen an Bewertungen und Likes. Alle Lebensbereiche können nun quantifiziert werden. In der Arbeitswelt treten Entgrenzung, dauerhafte Erreichbarkeit via Smartphone und Projekthaftigkeit vermehrt an die Stelle von regulären Beschäftigungsverhältnissen. Erstaunlich dabei ist, dass die Debatte um Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Roboter häufig als unaufhaltsamer Naturprozess verstanden wird, auf den die Menschen scheinbar keinen Einfluss haben. Gegen solche Kurzschlüsse, die Tatsachen eher vernebeln, besteht weiterhin die Notwendigkeit einer ehrlichen Bestandsaufnahme. Die Digitalisierung der Arbeit ist ein Prozess, der nicht notwendigerweise Freiheit oder Unterdrückung bringt – sondern gestaltet werden kann.

Sowohl für die Ökonomie als auch für Politik und Gesellschaft ist die Digitalisierung eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahre, da sie radikale Veränderungen mit sich bringt. Da ist die Rede von großen Utopien aber auch von großen Ängste vor geradezu disruptiven sozialen und ökonomischen Folge, die diese neuen möglichen Entwicklungen angeblich mit sich bringen. Dies trifft vor allem auf die Arbeitswelt zu. Die Umgestaltung traditioneller Arbeitswelten hin zur Arbeit 4.0 ist dabei ambivalent. Die Frage, welche Beschäftigungseffekte die fortschreitende Digitalisierung und damit verbundene Automatisierung von Tätigkeiten und Arbeitsprozessen nach sich ziehen wird, ist noch unbeantwortet. Die Janusköpfigkeit dies Prozesses äußert sich zum einen in der Begeisterung all jener, die davon ausgehen, dass nun Maschinen alle unliebsamen Arbeiten erledigen und die Menschheit Zeit für Muße und Kreativität haben wird. Die anderen haben Angst davor, dass der tätige Mensch zum Opfer seiner eigenen Hervorbringungen wird: die digitale Revolution und Industrie 4.0 würden für eine Arbeitslosigkeit unbekannten Ausmaßes sorgen.

Der Glaube, die Welt zu verbessern

Zu Beginn stand die Begeisterung. Ausgangspunkt der Digitalisierung ist das sagenumwobene Silicon Valley und seine Firmen. Tausende Technologiefirmen wie Apple, Google, Intel oder Tesla befinden sich dort auf engstem Raum und bestimmen mit ihren Produkten mehr und mehr unseren Alltag. Und es steht auch außer Zweifel: Das Silicon Valley (und all das wofür der Begriff herhalten muss) hat das Leben von Milliarden Menschen so nachhaltig beeinflusst, dass man «Vorher/Nachher»-Kategorien bilden kann: Das Leben vor dem ersten PC und danach, dann E-Mail und Handys. Ein Leben vor Twitter, Facebook und iPhone; nun das Leben danach. Die Welt hat sich durch diese Erfindungen in immer kürzeren Abständen grundlegend gewandelt. Die Entwickler_innen glauben dabei an die emanzipatorische Kraft der Informationsgesellschaft und der neuen Technologien. Die britischen Sozialwissenschaftler Richard Barbrook und Andy Cameron haben dies mit dem Ausdruck Kalifornische Ideologie bezeichnet. Netzwerke, Globalisierung und neue Technologien werden als Chancen begriffen, technologische Entwicklungen würden die Arbeitswelt und Tätigkeiten zwar oftmals verändern, jedoch nicht zum Verlust von Arbeitsplätzen führen, da neue Aufgaben entstünden. Diese Überzeugung schwappt auch von Kaliforniern über den Atlantik in die Bundesrepublik und findet in aktuellen Debatten ihren Niederschlag: So warnte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags Martin Wansleben jüngst, es sei «gefährlich, falsche Signale auszusenden». Deutschland gehe die Arbeit nicht aus. Der Maschinenbauverband VDMA teilte mit, die Digitalisierung könne zum «Job-Motor für Deutschland» werden. (Arbeitgebernahe) Studien stützen dieses Aussagen: Lediglich 12 Prozent der Arbeitsplätze seien automatisierungsgefährdet – je höher das Bildungsniveau desto geringer die Wahrscheinlichkeit der Automatisierung zum Opfer zu fallen. In einer IAB-Studie heißt es, bis 2025 würden netto kaum Arbeitsplätze wegfallen. Von der Abschaffung der Arbeit könne demnach keine Rede sein: Durch die Digitalisierung würden sich in den nächsten zehn Jahren sogar viele neue Berufsfelder eröffnen.

Die Angst, vergessen zu werden

Auf der anderen Seite teilen viele Menschen die Sorge, durch die Digitalisierung ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Nachdem der sonst so optimistische IT-Verband Bitkom auf Basis einer Umfrage unter 500 Unternehmen im Februar 2018 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung davor gewarnt hat, dass in den kommenden fünf Jahren 3,4 Millionen Stellen durch Automatisierung und Robotisierung wegfallen könnten, wird diese Angst im Bewusstsein vieler Menschen wieder konkreter. Besonders von der Gefahr der Substitution betroffen sind vor allem Tätigkeiten in unteren und mittleren Qualifikationsniveaus. Gerade Arbeiten, die einen gut strukturierten und an klaren Regeln orientieren Charakter besitzen, sind leichter dafür anfällig, algorithmisiert bzw. automatisiert werden zu können. Für die betroffenen Menschen wird die Digitalisierung somit als eine konkrete Bedrohung des unmittelbaren Alltags erfahren. Es besteht auf der einen Seite die Gefahr, dass Automatisierungsprozesse und Robotik zahlreiche Formen der Arbeit ersetzen und überflüssig machen. Auf der anderen Seite gilt weiterhin die Vorstellung, dass (Lohn-)Arbeit als zentrales Ordnungsprinzip kapitalistischer Gesellschaften wichtigstes Kriterium für das Selbstwertgefühl der Menschen ist. Dieser Widerspruch kann auf Dauer nicht gutgehen.

Die diffuse Angst vor der Arbeitslosigkeit zeigt sich in ganz unterschiedlichem Maße. Die eine Form ist die Angst- und Schockstarre. Laut Vermächtnis-Studie von ZEIT, infas und WZB empfehlen Menschen mit Ängsten bezogen auf die Digitalisierung ihren Kindern häufiger, am besten einfach weiterzumachen wie bisher und abzuwarten. Sie verharren, wo es notwendig wäre, nach neuen Wegen zu suchen. Die soziale Spaltung zwischen denen, die einen aktiven Umgang mit der Digitalisierung gefunden haben und vielen Niedrig- und Mittelqualifizierten, die über kurz oder lang mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes konfrontiert sind, wenn sie nicht eine Idee davon entwickeln, was sie in den nächsten Jahrzehnten tun könnten, zeigt sich hier deutlich.

Eine zweite Form mit der Angst umzugehen, wäre das Aufbegehren. Das historische Vorbild für Widerstand sind die Ludditen: englische Textilarbeiter_innen, die im Maschinensturm 1811/12 in ganz England gegen die Mechanisierung ihrer Arbeit protestierten und Webstühle zerstörten. Der Protest der Maschienstürmer richtete sich nicht gegen die neue Maschinen, sondern gegen die Fabrikanten, die sie im Interesse des Kapitals einsetzten. Die Maschinen dienten nicht der Befreiung von der Arbeit, sondern sorgten für Extra-Profite. Mit dem Einsatz von Maschinen ging eine drastische Aufwertung des Kapitals einher – und eine drastische Entwertung der Lohnarbeit.

Mit Rationalität gegen Rationalisierung

Doch eine Wiederbelebung der Maschinenstürmer gegen die Digitalisierung ist nicht in Sicht. Zu viele Aspekte der Digitalisierung sind so sehr in unseren Alltag verhaftet und sogar in unsere Körper eingedrungen, dass Widerstand dagegen schwierig erscheint. Wer verzichtet schon gerne auf individuelle Buchempfehlungen auf der Shoppingseite, wer wehrt sich gegen Likes auf der Social-Media-App oder wer tritt in Opposition zu seinem personalisierten Fitnessprogramm auf dem Smartphone.

All dies findet statt in einer Zeit rasanter Veränderungen, massiver Informationsflut und steigender Komplexität. Es sind so viele neue Impulse, dass häufig auf kritisches Hinterfragen verzichtet wird. Doch es ist sicher keine Lösung, die hier benannten emotionalen Umgangsweisen aus dem öffentlichen Raum zu verbannen oder über sie hinwegzusehen. Im Gegenteil, es braucht Raum, sie ausdrücken zu können, zu diskutieren und letztendlich zu politisieren. Dazu bedarf es einer Sprache der Emotionen, nicht der Gefühligkeit. Es geht darum, (irrationale) Ängste nicht zu schüren, sondern die wirklichen Gründe und Ursachen zu untersuchen und Lösungen anzubieten.

Dass in den Debatten um die Digitalisierung die Emotionen und manchmal der blinde Affekt so hoch im Kurs stehen, liegt zum einen sicher darin begründet, dass es sich tatsächlich um einen so umfassenden Prozess, eine Revolution, handelt. Zum anderen steht es jedoch derzeit schlecht um wirklich rationale Begründungen im öffentlichen, politischen oder ökonomischen Raum. Viel zu häufig wurde im Namen der angeblichen wirtschaftlichen «Ratio» gegen jede Vernunft gehandelt. Dass diese nun in Verruf gerät, verwundert nicht. Die Rationalität hat sich selbst desavouiert. Was von ihr (bezogen auf die Digitalisierung) noch übrig geblieben ist, ist die Rationalisierung und mit ihr die Angst vor Jobverlust.

Und trotzdem braucht es einen offenen, rationalen Diskurs, der vor Komplexität von Fakten nicht zurückschreckt. Die Chance der Digitalisierung, die Chance von Arbeit 4.0 liegt darin, das Feld der menschlichen Tätigkeiten neu zu definieren und neu zu bewerten. Hierbei geht es um eine radikale Veränderung der Sicht auf Arbeit. Gesellschaftlich notwendige Arbeiten und Fähigkeiten müssen anders verteilt und nach und nach vom Modell der Erwerbsarbeit entkoppelt werden. Auch wenn sie viel zu kurz greifen, werfen die Debatten um ein bedingungsloses Grundeinkommen diese Fragen zumindest auf. Sie müssen aber erweitert werden durch eine genuin kapitalismuskritische Analyse. Nicht die Digitalisierung mit ihren Algorithmen, Robotern und künstlicher Intelligenz ist das Problem – sondern ihre Einbettung in die kapitalistische Logik der Verwertung. Jede technische Erneuerung hat das Potential, das Leben der Menschen angenehmer und einfacher zu machen. Dass dies unter gegebenen Bedingungen nicht geschieht, sondern vielfach Ängste in Teilen der Bevölkerung auslöst, liegt aber nicht an der Technik selbst, sondern daran, wer über sie bestimmt. Widerstand darf sich also nicht gegen die Technik richten, sondern gegen die gesellschaftlichen Bedingungen, in denen sie eingebettet sind. Karl Marx hatte dies im Kapital bereits so geäußert: «Es bedarf Zeit und Erfahrung, bevor der Arbeiter die Maschinerie von ihrer kapitalistischen Anwendung unterscheiden und daher seine Angriffe vom materiellen Produktionsmittel selbst auf dessen gesellschaftliche Exploitationsform übertragen lernt». Unter Bedingungen der Digitalisierung gilt dies unverändert. Die (emotionalen) Erfahrungen, die die Menschen aktuell mit der Digitalisierung machen, sind häufig von Panikmache, Informationsdefizit und billigen Lösungen geprägt. Demgegenüber gilt es, einen rationalen Diskurs zu setzen, um die kapitalistische Form der Digitalisierung zu kritisieren, aber nicht die Digitalisierung an sich. Dafür bedarf es der Information, der Ansprache, der Ermutigung und der Motivation sowie des Abbaus von Ängsten.