Die notwendige Kritik an einer Soziologie des Sockenstopfens

Rezension zu Peters, C./ Schulz, P. (Hrsg.): Resonanzen und Dissonanzen. Hartmut Rosas kritische Theorie in der Diskussion.

Erschienen in Soziologieblog

Wer im ersten Satz eines Buches bereits die Kernthese seines Werks vorwegnimmt, läuft Gefahr, dass das Lesen nach diesem Satz eingestellt wird und Diskussionen sich lediglich darauf beziehen. Hartmut Rosas aktuelles 800 Seiten gewichtiges Werk „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehungen“ (2016) ist ein gutes Beispiel hierfür. Der Eröffnungssatz des Buches lautet: „Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung“ (Rosa 2016: 13). Das gesamte Programm des Buches ist hier in nuce geschildert. Ende der Diskussion?

Dass es so einfach doch nicht ist, davon zeugt der Sammelband „Resonanzen und Dissonanzen. Hartmut Rosas kritische Theorie in der Diskussion“ (2017), jüngst bei Transcript erschienen. Der Band tut Not. Denn die 15 Autor_innen zeigen auf, dass Rosas Buch, das als direktes Folgewerk seines 2005 erschienenen Werks „Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne“ begriffen werden kann, dem Anspruch Rosas, eine große Gegenwartsanalyse zu sein, nicht immer gerecht wird. So fordern die Beiträge Rosa heraus, kritisieren ihn und versuchen Leer- und Schwachstellen aufzudecken, ehe Rosa selbst auf die Aufsätze antwortet.

Was Rosa nach eigener Aussage in seinen Büchern versucht, ist eine aktualisierte Kritische Theorie zu formulieren. Einen Überblick in Rosas Unternehmung geben die beiden Herausgeber des Bandes Christian Helge Peters und Peter Schulz, Soziologen an den Universitäten Hamburg bzw. Jena in ihrer Einleitung. Hier findet sich eine gelungene Zusammenfassung zu Rosas Gedankengängen: Die klassische Kritische Theorie kranke, so Rosa, daran, dass sie lediglich in der Negation des Bestehenden verweile und keinen Maßstab für ein gutes und gelingendes Leben habe. Rosa will diesen Maßstab mit dem Begriff der Resonanz liefern. Dass er hier einen physikalischen Begriff einbringt ist kein Zufall. Resonanz ist für ihn eine Art und Weise des verbunden Seins mit der Welt, bei dem es tatsächlich um Schwingungen geht. In seinen eigenen Worten entstehen Resonanzbeziehungen durch „Prozesse der Anverwandlung oder des wechselseitigen ‚Einschwingens’“ (Rosa 2016: 36) aufeinander. Resonanz ist also vereinfacht ein Antwortverhältnis zwischen Subjekt und Welt. Ein gelingendes Leben ergibt sich aus einer Weltanverwandlung „bei dem die Subjekte sich nicht nur berühren lassen, sondern ihrerseits zugleich […] berühren, das heißt handelnd Welt zu erreichen vermögen“ (ebd.: 270; Herv. i. O.). Die Ermöglichung von Resonanzerfahrungen mit anderen Menschen, aber auch beim Anblick von Natur oder durch das Lesen eines Gedichts bezeugt also ein gelingendes Leben.

Mit diesem Theorieansatz setzt sich nun der Sammelband auseinander, indem verschiedene Perspektiven der Soziologie und Sozialphilosophie auf Rosas Theorie angewendet werden. Die Beiträge des Bandes schaffen dabei die Spannbreite von einführenden und diskutierenden Beiträgen bis hin zu vertiefender kritischer Analyse. Gegliedert ist er in drei Teile, die sich mit Resonanz als Kategorie der Sozialtheorie, ihrem normativen Maßstab sowie ihren Grundlagen beschäftigen. Aufgrund der Fülle der Beiträge, können nicht alle Inhalte der Beiträge in Gänze beschrieben werden. Im Zentrum des vorliegenden Textes stehen daher Kritiken, die sich auf Rosas eigenen Anspruch, mit dem Resonanzbegriff zur Erneuerung der Kritischen Theorie beigetragen zu haben, beziehen.

Im ersten Teil des Buches diskutieren die Autor_innen zunächst das Erklärungspotential des Resonanzbegriffs im Verhältnis zu Begriffen anderer Sozialtheorien. Die Soziologin Anna Daniel (Fernuni Hagen) bringt in ihrem lesenswerten Beitrag den Begriff der Praktiken gegen die Resonanz in Stellung. Der Fokus auf Praktiken kann, so Daniel, für diverse gesellschaftliche Analysen fruchtbar gemacht werden (91). Sie argumentiert, dass für die Subjekte immer nur Weltausschnitte (und nicht die gesamte Welt wie bei Rosa) sichtbar seien. Aufgrund dieser Differenzierung sei es unmöglich, Sachverhalte auf eine einfache Formel wie die der Resonanz zu bringen (97). Sie fordert demgegenüber überzeugend eine Orientierung auf die verschiedenen Praktiken der Akteur_innen, um damit auch gesellschaftliche Prozesse in den Blick nehmen zu können.

Die thematische Breite des Bandes wird bereits im ersten Teil deutlich: Bernd Bösel (Uni Potsdam) lässt den Resonanzbegriff mit der poststrukturalistischen Affekttheorie von Gilles Deleuze ins Gespräch kommen. Lisa Waldenburger (Uni Zürich) und Hannes Teutoburg-Weiss (PH Zürich) setzen sich wiederum aus Sicht des Critical Realism mit Rosas Soziologie der Weltbeziehungen auseinander. Der Resonanzbegriff in der Systemtheorie und in der Kritischen Theorie wird von Anna Henkel (Uni Lüneburg) verglichen und Robert Gugutzer (Uni Frankfurt/Main) stellt den Körper als Ausgangspunkt für Resonanzerfahrungen dar, die primär leibliche Beziehungen seien.

Im zweiten Teil des Buches versammeln sich Beiträge, die sich mit dem normativen Gehalt des Resonanzbegriffs als Grundlage für gelingende Weltbeziehungen beschäftigen. Für den Jenaer Philosophen Sebastian Bandelin verliert das Resonanzkonzept gegenüber Kämpfen um soziale Anerkennung im Anschluss an Hegel an Differenzierungsfähigkeit. Aktuelle Protestbewegungen wie Pegida, Indignados oder den Maidan-Protesten seien nicht nur Bewegungen der Resonanzforderung, sondern Kämpfe um Autonomie und Anerkennung. Man müsste Bandelin hier sogar noch erweitern. Wer wie Rosa, Fußballspiele, Pegida oder auch progressive Demonstrationen gleichermaßen als Phänomene der Resonanzsuche beschreibt, verkennt deren normative Unterschiedlichkeit und verlässt damit den Standpunkt der Kritischen Theorie. Daran anschließend weist Hanna Meißner vom Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin in ihrem Beitrag zurecht drauf hin, dass Resonanz meist ein Privileg bestimmter Subjektpositionen (weiß-männlich-bürgerlich) ist. Mit diesem Hinweis auf soziale Ungleichheit sowie Herrschaftsverhältnisse trifft sie eine zentrale Leerstelle in Rosas Konzeption.

Am Ende des zweiten Teils stehen drei Beiträge, die sich auf unterschiedlichen Ebenen der Sozialtheorie mit Rosas Resonanzbegriff auseinandersetzen: Katharina Hoppe (Uni Frankfurt/Main) behandelt den Begriff der Relationalität im Anschluss an die Physikerin und Philosophin Karen Barad. Sebastian Sevignani (Uni Jena) beschäftigt sich mit Theorien der Bedürfnisse und Christine Kirchhoff (IPU Berlin) fragt sich, ob Rosas Konzept der Erfahrung Theodor W. Adornos entspricht.

Im dritten Teil des Buches wird der Begriff der Resonanz nun nicht mehr ins Gespräch mit anderen Konzepten gebracht, sondern als „Begriff, Metapher und Verlangen“ (213) selbst zum Gegenstand. Tine Haubner, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Jena, fragt nach dem Arbeitsbegriff von Rosa, dem sie den Marxschen Arbeitsbegriff entgegensetzt. Hinter diesen falle Rosa deutlich zurück, da er den Bezug der Arbeit zur kapitalistischen Produktionsweise nicht systematisch ausgearbeitet habe. Bei Rosa bietet die Lohnarbeit, trotz aller Entfremdung, die Möglichkeit der Resonanzerfahrung. Marx würde hierzu nur den Bart schütteln. Ebenso vergisst Rosa die internationale Arbeitsteilung. Um seinem Verständnis von guter Arbeit, dass einem „Handwerksideal“ (221) entspricht, gerecht zu werden, bedarf es jedoch, dass im globalen Maßstab überall unerträgliche Arbeit verrichtet wird. Daran anschließend kritisiert Gianna Behrendt (Uni Oldenburg) einen „ideologisch überhöhten Naturbegriff“ (245) in Rosas Werk. Die Natur als singuläres Subjekt sei eine spezifisch moderne Ideologie, der Rosa unterliege. Rosas akademischer Lehrer, der Philosoph Charles Taylor (Uni Montreal) fragt nach Grundlagen der Resonanztheorie und findet einen solchen Ursprung in der Sprache der Romantik und Christoph Görlich (Uni Lüneburg) kritisiert, Rosa würde den Begriff der Resonanz zu stark machen. Er sei besser verstanden als Metapher, um nicht der Gefahr zu erliegen, zu sehr von der Existenz des Begriffs a priori auszugehen. Den Abschluss der Diskussion macht Sonja Witte von der IPU Berlin mit einem psychoanalytisch fundierten Beitrag, in dem sie nachzuweisen versucht, dass Resonanz lediglich ein „Heilsversprechen“ (227) nach „einer konfliktfreien, ursprünglichen Einheit“ (216) sei. Christine Kirchhoff hatte in ihrem Beitrag bereits erwähnt, welch „ausgesprochen freundliche Theorie“ (200) Rosa geschrieben habe. Beide haben recht, denn die Widersprüche des kapitalistischen Alltags finden bei Rosa keinen rechten Ort. Dieser zeigt sich in seiner Antwort auf die Beiträge dann auch „verblüfft und irritiert“ (313), was die Autor_innen alles aus seinem Resonanzbegriff gemacht hätten. Hilfreich sei ihm zufolge demnach die nähere Bestimmung seiner „Resonanzethik“ (325): Nicht jede Beziehung, die ein Antwortverhältnis zur Welt beinhalte, sei resonant. So sei die Idee von Donald Trump eine Mauer zu Mexiko zu bauen, „resonanzfeindlich und repulsiv, weil es ihr Ziel ist, die Stimme der Anderen […] auszuschließen und zum Schweigen zu bringen und das Eigene vor Berührung, Transformation und Veränderung zu schützen, zu konservieren“ (325). Warum dann ein Gottesdienst oder der Besuch eines Fußballspiels resonant sein soll, bleibt Rosa schuldig.

Wer vom Sammelband eine Klärung des Resonanzkonzepts erwartet, wird enttäuscht sein. Die vielen unterschiedlichen Perspektiven können eher verwirren. Trotzdem ist der Band empfehlenswert, denn er lädt zum Weiterdenken ein. In der Fülle der Beiträge versammelt sich eine Vielzahl weiterer Kritiken am Konzept Rosas: So weist Anna Daniel darauf hin, dass auch die Kleinfamilie und die private Umgebung von Macht und Konkurrenz durchzogen seien und mit den kapitalistischen Produktionsverhältnissen zusammenhängen; Rosa verkennt dies. Ebenso gelingt es ihm, so Christine Kirchhoff nicht nur „das Thema Eigentum zu vermeiden, sondern sich auch eine genauere Auseinandersetzung mit der Kritik der politischen Ökonomie zu ersparen“ (199).

Ohne Zweifel schafft es Rosa blendend, an direkte Erfahrungen und Sehnsüchte von Menschen anzuschließen. Das Gefühl, dass alles immer schneller und übersichtlicher wird und man Sicherheit in einer sinnstiftenden Arbeit finden will, kennen wohl die meisten. Auch der Wunsch, im Chaos der Welt einfach nur zur Ruhe zu kommen und seine Socken zu stopfen (ein tatsächliches Beispiel Rosas), erscheint verständlich. Dies nun wissenschaftlich verstehen und erklären zu wollen, ist auch legitim. Wer es aber in dieser Weise unter dem Label Kritische Theorie versucht, provoziert Fragen. Eine Kritische Theorie, die soziale Ungleichheit, die Analyse der politischen Ökonomie und Ideologiekritik vernachlässigt, wird keine fundamentale Veränderung der Gesellschaft erreichen. Der Publizist Micha Brumlik hat in seiner lesenswerten Kritik an Rosa „Resonanz oder: Das Ende der kritischen Theorie“ (2016) bereits darauf hingewiesen.

In Ronald M. Schernikaus Die Tage in L. (2001) heißt es: „die revolution wird die reichen erreichen, wenn die den größeren reichtum sehen können, den unermeßlichen, den kommunistischen“ (Kleinschreibung i.O.). Für diesen Reichtum braucht es angstfreie individuelle Einflussnahme auf der Grundlage der Reproduktion des materiellen Lebens. Resonanz ist hierfür sicherlich notwendig, aber nicht hinreichend. Sichtbar zu machen, dass der Resonanzreichtum, den Rosa verspricht und der sicher ein Fortschritt zur Gegenwart wäre, allerdings beizeiten auf halber Strecke stehen bleibt, dafür gebührt den Beiträgen des Sammelbands Dank.

Literatur

Brumlik, Micha (2016): Resonanz oder: Das Ende der kritischen Theorie. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, 5/16, S. 120–123.

Rosa, Hartmut (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehungen. Berlin: Suhrkamp

Schernikau, Ronald, M. (2001): Die Tage in L.: Darüber, dass die DDR und die BRD sich niemals verständigen können geschweige mittels ihrer Literatur. Hamburg: Konkret.

 

 

(Beitragsfoto: http://www.transcript-verlag.de)