»Nicht nur wütend«

Dass der Kampf gegen Diskriminierung kein Nebenschauplatz, sondern Voraussetzung für eine gerechte Gesellschaft ist, ist ihre Grundüberzeugung. Ich habe mich mit Laurie Penny über den Aufstieg der extremen Rechten, Sexismus, Wut und Hass unterhalten. Und über ihr neues Buch Bitch Doktrin, das nächste Woche auf Deutsch erscheint.

Erschienen in Der Freitag 35/2017

Sie haben ein zorniges Buch geschrieben. Ab der ersten Seite von „Bitch Doktrin“ springt einem die Wut entgegen. Sind Sie wütend?
Ich werde das häufiger gefragt. Die Frage nach der Wut finde ich spannend, gerade auch aus der Geschlechterperspektive. Frauen, LGBTI, aber auch schwarze Menschen müssen sich für ihren Ärger häufiger rechtfertigen. Sie werden angehalten, nicht zornig zu sein, ihre Wut herunterzuschlucken. Männern wird hingegen zugestanden, wütend zu sein. Niemand fragt sie, warum sie wütend sind. Es gibt aber aktuell genügend Themen, über die gerade Frauen zornig sein können. Ich versuche, durch mein Scheiben auch diese Leute zu ermutigen, ihren Ärger auszudrücken.

Ärger als politische Strategie?
Ich bekomme da oft gesagt, dass man mit Ärger niemanden überzeugen kann. Aber das ist gar nicht mein Anliegen. Es gibt bereits viele Feministinnen, die versuchen, andere ruhig und mit Bedacht zu überzeugen und die damit auch durchaus erfolgreich und populär sind. Ich finde das gut und wichtig, weil ich das dann nicht mehr machen muss. Ich kann dann kritischer, radikaler und auch polemischer sein. Ich sage aber nicht, dass das schlechter oder besser ist als mein Ansatz. Es geht nicht darum, wer die bessere Feministin ist, sondern darum, dass sich verschiedene Arten, feministisch zu arbeiten, ergänzen können und sollen. Das ist das Wichtigste.

Die zentrale These ist, dass Hautfarbe, Gender und Sexualität Grundlage und Ausdruck der derzeitigen Krisen sind.
Geschlechterungleichheit, Rassismus und Rechtsruck charakterisieren gegenwärtig nahezu alle westlichen Demokratien. Das sind Prozesse, gegen die ich mich wehre und wegen derer man auch wütend sein kann. Gleichzeitig gibt es ja aber auch viele gute rationale Argumente gegen all diese Entwicklungen. Und ich bin ja nicht nur wütend, ich argumentiere. Ich versuche beides zu verbinden. Bitch Doktrin ist ein politisches Buch. Ein Buch sowohl über Fakten als auch über Gefühle. Als Feministin ist es mir wichtig, dass beides zusammengehört.

Sie beginnen mit Ihrem Tagebuch rund um die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA.
Ja. Zentral daran ist die Radikalisierung weißer Männer, die sich in ihren Privilegien bedroht fühlen. Die teilweise berechtigte Wut der Arbeiterklasse gegen Einschnitte im Sozialstaat wird kanalisiert in Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und auch Sexismus.

Ohne Zweifel. Sie vergleichen Trump aber mit Adolf Hitler und Sie sprechen von Faschismus.
Das ist eine Debatte, die gerade geführt wird und ich habe keine endgültige Antwort. Ich glaube aber, dass Trump und seine Bewegung nicht nur rechts oder populistisch, sondern zutiefst autoritär sind. Sein Ziel ist eine Form ultimativer Kontrolle und die Leute, die hinter ihm stehen, folgen ihm. Ob er selbst an white supremacy glaubt, wird ja gerade diskutiert. Bei seinen Beratern Stephen Miller oder Steve Bannon besteht gar kein Zweifel. Ich weiß nicht, wie viel weiter man noch gehen muss, um als Faschist bezeichnet zu werden. Warum ich auch an dem Begriff festhalte, ist, weil er effektiv ist. Man konfrontiert Leute, die man als Faschisten bezeichnet, damit, dass sie einer falschen und gefährlichen Ideologie anhängen und die Verlierer der Geschichte sind.

Aber verharmlost man mit dem Vergleich nicht den Faschismus des 20. Jahrhunderts?
Das glaube ich gar nicht. Wir wissen, wo Geschichte hinführen kann und ich sehe schon Parallelen zwischen dem Aufstieg des Faschismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts und Trump. Natürlich ist es nicht das Gleiche, aber jetzt nach Charlottesville nimmt es in den USA neue Dimensionen an.

Die Antifaschistin Heather Heyer wurde in Charlottesville von Neo-Nazis getötet.
Ja. Damit ist eine komplett neue Ebene erreicht.

Gleichzeitig gibt es aber sowohl in den USA als auch in Europa Widerstand. Müsste hier nicht ein populärer Feminismus das Verbindende sein und auf die Geschlechterungleichheiten in all diesen Prozessen hinweisen?
Das ist sicherlich wichtig, ja, und in gewisser Weise versuche ich das ja auch in meinem Buch.

Wie sehen Sie aber Ihre Rolle?
Es ist nicht meine Aufgabe, meine Ideen zu ändern, nur um populärer zu werden. Deswegen bin ich keine Politikerin. Ich bin Autorin. Ich bin schlecht in Kompromissen und ich hasse es, wenn mir vorgeschrieben wird, was ich tun soll. Ich bin zuerst Autorin , dann Aktivistin und Feministin. Ich versuche Leute zu unterhalten und zum Denken anzuregen. Das ist in erster Linie mein Job.

Also barrierefreier Feminismus?
Ja. Menschen verstehen den Zusammenhang zwischen dem globalen Kapitalismus und den Arbeitsbedingungen und Geschlechterbeziehungen nicht automatisch. Populärer Feminismus kann einen Zugang für viele Menschen eröffnen, sich solchen Themen zu nähern und sich dann auch mit radikaleren Ideen auseinanderzusetzen. Hier sind es auch gerade feministische Künstlerinnen, wie Beyoncé, die für viele wichtig sein können. Und nur weil sie das Kommunistische Manifest nicht in einem dreiminütigen Song verarbeiten kann, heißt das nicht, dass ihr Feminismus, weil er populär ist, weniger radikal ist oder dass sie sich diese Fragen nicht stellt.

Vor etwa einem Jahr waren Sie in eine Auseinandersetzung über den Antisemitismus verwickelt. Manche warfen Ihnen eine Nähe zu „Boycott, Divestment and Sanctions“ vor, jener Kampagne, die sich für einen wirtschaftlichen und kulturellen Boykott, den Rückzug von Investitionen und Sanktionen gegen den Staat Israel einsetzt. Wie sehen Sie diese Diskussionen heute?
Die Debatte hat mich massiv beeinflusst. Es war sehr bedrückend. Übersetzungsprobleme, Missverständnisse und auch kulturelle Unterschiede spielten eine Rolle. In verschiedenen Ländern ist es innerhalb der Linken unterschiedlich angemessen, bestimmte Dinge zu sagen. Für mich ist das kompliziert. Auf der einen Seite wurde ich kritisiert, weil ich angeblich antisemitisch sei. Als ich öffentlich gesagt habe, dass ich keine Unterstützerin von BDS bin, wurde ich auch kritisiert. Durch den Aufstieg der Rechten bin ich aktuell mit mehr Antisemitismus als jemals zuvor konfrontiert. Als Jüdin bekomme ich dauernd antisemitische Mails, mit den schlimmsten Inhalten. Ich denke also im Moment viel darüber nach. Ich habe meine Meinung nicht geändert. Ich sagte, ich würde keine Einladung Israels für einen Vortrag annehmen. Aber ich würde auch keine Einladung aus Saudi-Arabien annehmen.

Dieser Vergleich ist schwierig.
Ja, okay. Ich würde auch keine Einladung der Regierung Großbritanniens annehmen. Ich bin gegenüber Staaten im Allgemeinen misstrauisch. Vielleicht würde ich nach Skandinavien gehen. Sie scheinen nett zu sein.

Sie kritisieren die Linke dafür, dass sie sich zu sehr auf Klasse und soziale Ungleichheit fixiere und Geschlecht, Ethnie und Sexualität vergesse.
Ich sage nicht, dass die Linke zu viel über Klasse spricht, sondern nur, dass sie zu wenig über Gender und Rassismus spricht. Es ist kein Entweder-Oder. Klasse ist und bleibt von immenser Bedeutung. Man kann nicht sinnvollerweise von Geschlecht sprechen und von Antikapitalismus oder Sozialismus schweigen. Es muss beides zusammen gedacht werden. Es wäre intellektueller Bankrott, eine Seite zu vergessen.

Wenn Sie vom Sozialismus sprechen, sind Sie auch unter Feministinnen in der Minderheit. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Kapitalismuskritik und Feminismus?
Ich wurde Antikapitalistin durch meine Beschäftigung mit dem Feminismus. Je mehr ich mich mit feministischen Texten und Fragen beschäftigt habe, umso deutlicher wurde mir, dass Feminismus ohne die Betrachtung von Ausbeutung weiblicher Arbeitskraft und struktureller Gewalt und Unterdrückung keinen Sinn ergibt. Der Großteil des populären Feminismus geht diesen Gedanken leider nicht mit und bleibt dann auf halbem Weg stehen.

Die neoliberale Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Exakt. Damit kann man sicher kleine Veränderungen herbeiführen, weit kommt man damit aber nicht. Die strukturelle Ebene wird hier überhaupt gar nicht berührt.

Sie beenden Ihr Buch mit der Aussage, dass man jetzt utopische Ideen mehr denn je braucht. Woran denken Sie dabei?
Was meine Utopie ist, wie die ideale Welt aussieht, ist nicht der Punkt. Utopie ist für mich Suche nach Utopien. Man braucht Fixpunkte am Horizont, wie die Welt besser sein könnte. Die Idee, dass die Welt überhaupt anders und besser sein könnte, ist leider nicht weit verbreitet. Aber es gibt immer Leute, die es versuchen. Zum Beispiel durch neue Gemeinschaftsformen, Kommunen, alternative Lebens- und Beziehungskonzepte. Viele scheitern daran, aber sie versuchen es erneut und scheitern vielleicht auch erneut. Aber Menschen machen ihre Erfahrungen. Dabei lernen sie, wie sie es das nächste Mal besser machen. Das ist nicht nichts.

Vielen Dank.

(Beitragsfoto: John Cartwright)